Moody’s, Fitch und S&P machen sich überflüssig
Ratingagenturen
Danke, Captain Obvious!
Ratingagenturen verschlafen Gefahren an den Märkten oder erzählen Investoren, was diese längst wissen. Damit machen sich Moody’s, Fitch und S&P überflüssig.
Von Alex Wehnert
Die Ratingagentur Moody’s liefert das beste Argument für ihre eigene Überflüssigkeit. Denn die Finanzanalysten des Hauses haben jüngst die revolutionäre Entdeckung gemacht, dass die erratische Handelspolitik von Präsident Donald Trump sowie hohe Zinsen der Fähigkeit der USA abträglich sind, ihre wachsende Schuldenlast effizient zu managen. Moody’s ringt sich sogar zu dem unerschrockenen Urteil durch, dass die fiskalische Stabilität Amerikas sich verschlechtert hat. Bei einem jugendlichen Publikum würde die Ratingagentur auf diese mit dem Gestus profunder Analyse vorgetragenen Offensichtlichkeiten wohl ein sarkastisches „Danke, Captain Obvious!“ ernten. Denn dass die USA in eine Haushaltskrise nach der anderen schlittern und Trumps Strafzoll-Strategie die Wirtschaft in die Stagflation zu führen droht, haben längst auch ökonomische Amateure begriffen.
Langsame Reaktion auf Fiskalkrisen
Ohnehin ist Moody’s als Letzte der großen drei auf die Erosion der fiskalischen Stabilität der Vereinigten Staaten aufmerksam geworden: Sie versah das „AAA“-Rating erst im November 2023 mit einem negativen Ausblick, nachdem Fitch im August desselben Jahres die Bonitätsnote auf „AA+“ gesenkt hatte. S&P stufte die Kreditwürdigkeit bereits 2011 herab. Doch haben sich seit der Finanzkrise 2008 auch die beiden letztgenannten Firmen nicht mit Ruhm bekleckert. Nach den Verwerfungen standen sie zu Recht dafür in der Kritik, infolge von Interessenkonflikten zu hohe Bonitätsnoten für hypothekenbesicherte Wertpapiere auf Basis amerikanischer Hauskredite ausgestellt zu haben. In den vergangenen Jahren warnten sie regelmäßig erst dann vor Risiken, als es längst zu spät war, oder verschliefen diese ganz.
Das beste Beispiel liefert die US-Regionalbankenkrise 2023, die den amerikanischen Finanzsektor noch heute beschäftigt und sich in anhaltenden Turbulenzen am Gewerbeimmobilienmarkt niederschlägt. Die Silicon Valley Bank verfügte damals, kurz vor ihrem Kollaps, über ein „A3“-Rating von Moody’s. Am 8. März 2023, als die Liquiditätsnöte bei dem Institut längst ihren Lauf genommen hatten, stufte die Agentur die Kreditwürdigkeit auf „Baa1“ herunter – damit befand sich das Geldhaus noch im Investment-Grade-Segment, obwohl es längst in den Junk-Bereich gehörte. S&P bewertete es bei Beginn der Krise mit „BBB“, immerhin noch zwei Level über Ramsch.
Gläubiger kalt erwischt
Gläubiger und Einlagenkunden wurden damit kalt erwischt. Herabstufungen anderer regionaler Geldhäuser, die den Turbulenzen im Segment längst ausgesetzt waren, folgten erst Monate später. Umso schneller geht es bei positiven Bewertungen durch die Ratingagenturen, die von Wertpapier-Emittenten für die Ausstellung von Kreditratings bezahlt werden: S&P hob die Ausblicke für sechs mittelgroße US-Banken im Februar von „Negativ“ auf „Stabil“ an. Die Ratingagentur widerspricht sich dabei selbst – räumt sie doch ein, dass sich die Assetqualität im Abwärtstrend befindet. Das trifft insbesondere Regionalbanken, die hohe Anteile ihrer Kreditportfolios im schwer gebeutelten Gewerbeimmobiliensegment halten.
Wie schwer sich die Ratingagenturen damit tun, in diesem vielschichtigen Markt den Überblick zu behalten, zeigt ihr Vorgehen bei sogenannten Single-Asset, Single-Borrower Bonds. Bei diesen verpackt eine Bank Kredite für einzelne Shoppingzentren oder Bürogebäude in einer Mortgage-Backed Security. Schwerwiegende Fehlannahmen der Ratingagenturen zur Wertentwicklung der zugrunde liegenden Immobilien führten dazu, dass viele dieser Bonds auch lange nach der Hochphase der Corona-Pandemie noch auf höhere Ratings als Treasuries kamen.
Änderung der Geschäftsmodelle nötig
Die Rolle der Ratingagenturen sollte allerdings darin bestehen, Marktteilnehmern belastbare Annahmen über die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners zu ermöglichen – und dabei eben alle möglichen Härtefälle einzubeziehen. Regelmäßig scheitern sie trotz mehreren Regulierungsreformen ausgerechnet dann an dieser Aufgabe, wenn der Markt am dringendsten verlässliche Informationen braucht. Indem Moody’s und Konsorten selbst mit Blick auf den tiefen und transparenten Treasury-Markt häufig hinter der Kurve liegen, rauben sie sich selbst die Daseinsberechtigung.
Vielleicht sollten sie deshalb über eine Rückkehr ihrer Geschäftsmodelle zur Praxis nachdenken, wie sie vor den 1970er Jahren üblich war. Damals speisten sich ihre Einnahmen nicht aus Ratinggebühren von Wertpapier-Emittenten, sondern aus Abonnementbeiträgen von Investoren. Auf diesem Wege könnten sie nicht nur Interessenkonflikte bei der Zuweisung von Bonitätsnoten überwinden – sondern auch Anreize für so manchen „Captain Obvious“ unter ihren Analysten schaffen, bei der Recherche doch genauer vorzugehen.