Notiert inNew York

Rauch über den Five Boroughs

Rauchschwaden von kanadischen Waldbränden ziehen weit nach Süden und hüllen New York ein. Die dystopische Atmosphäre in der Empire City ist Folge des Klimawandels, den viele US-Politiker noch immer nicht wahrhaben wollen.

Rauch über den Five Boroughs

Notiert in New York

Rauch über den Five Boroughs

Von Alex Wehnert

Die rote Sonne steigt hinter dem Empire State Building empor und taucht die Five Boroughs in ein unheimliches Licht. Die Luft ist schwer und diesig, die Sicht in den Straßenschluchten Manhattans ist auf vier Meilen beschränkt und damit auf die Hälfte der üblichen Distanz – in New York herrscht Stimmung wie in einem Roland-Emmerich-Film. Grund dafür, dass sich die Behörden zu Warnungen vor der ungesunden Luftqualität gezwungen sehen, sind Waldbrände in Quebec, deren Rauchschwaden durch ein Tiefdruckgebiet weit nach Süden gesogen werden.

Auch in anderen kanadischen Provinzen breiten sich Feuer aus, verbrannt ist im laufenden Jahr eine Fläche von der Größe Belgiens. Die Verheerung fällt damit zwölfmal schwerer aus als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, und die Brandzeit ist noch lange nicht vorbei – der nördliche US-Nachbar bereitet sich auf die schwerste Saison seit Beginn der Datenerfassung vor. Die Straßen New Yorks könnten sich über den Sommer also noch mehrfach in Rauch gehüllt präsentieren.

Die Verantwortung dafür würde so mancher Yankee sicher gern bei den ungeliebten Canucks abladen. Doch Michael Norton, Generaldirektor für Forstwirtschaft im kanadischen Ressourcenministerium, bringt es auf den Punkt: Der Klimawandel erhöht die Frequenz und verstärkt die Intensität von Waldbränden. Insbesondere die Bewohner der US-Weststaaten müssen sich schließlich seit Jahren mit heftigen Verwüstungen auseinandersetzen.

Allerdings gibt es noch immer zahlreiche einflussreiche US-Politiker, die den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel anzweifeln – laut dem Thinktank Center for American Progress saßen in der abgelaufenen Legislaturperiode 139 Abgeordnete im Kongress, die sich in der Vergangenheit entsprechend geäußert haben. Die Zahl dürfte noch gestiegen sein, nachdem sich die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2022 die Mehrheit im Repräsentantenhaus gesichert haben. Und so tobt in den Vereinigten Staaten ein ideologisch aufgeladener Streit um Nachhaltigkeit, der auch die Finanzbranche umtreibt.

Denn einzelne Bundesstaaten gehen hart gegen Assetmanager vor, die sich Investitionen in Industrien mit hohem Kohlendioxid-Ausstoß verweigern. So veröffentliche Texas im August 2022 eine – seither erweiterte – Liste von Vermögensverwaltern und Fonds, die nach Angaben des dortigen Rechnungsprüfers Öl-, Gas- und Bergbauunternehmen boykottieren. Seine Behörde forderte staatliche Pensionsfonds auf, ihre Beteiligungen an den aufgeführten Dienstleistern und Anlagevehikeln abzubauen.

Das Analysehaus S&P Global schreibt von einer eng koordinierten Kampagne, an der sich mindestens 23 weitere republikanisch geführte Bundesstaaten sowie konservative Thinktanks und rechtsgerichtete Gruppen beteiligten. Auch Florida hat sich unter Gouverneur Ron DeSantis, der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei werden will, mit prohibitiven Regelungen gegen ESG-Investments positioniert.

Auch die Versicherungsbranche ist politischem Druck ausgesetzt. Mitte Mai wandte sich eine Gruppe aus knapp zwei Dutzend US-Generalstaatsanwälten in einem Schreiben an die Net-Zero Insurance Alliance (NZIA), in dem sie die Legalität der „aktivistischen Klimaagenda“ des Branchenverbands anzweifelten. Sie ermitteln wegen möglicher Verstöße gegen das Kartellrecht, die durch Absprachen der Mitgliedsunternehmen bezüglich ihrer Nachhaltigkeitsstrategien entstanden sein sollen.

Aus Sorge vor Problemen im US-Geschäft ziehen sich zahlreiche Versicherer aus der NZIA zurück, statt wie zeitweise über 30 zählt der Verband nur noch 14 Mitglieder. Doch gerade die Kooperation in der Assekuranz ist enorm wichtig, um Klimaziele zu erreichen und so auch das Waldbrandrisiko in Nordamerika einzudämmen. Dass der Wind in als Anti-ESG geltenden Bundesstaaten schnell dreht, wagen aber wohl nur die kühnsten Branchenvertreter zu hoffen – auch bezüglich der Luftqualität in New York sind das schlechte Nachrichten.

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