Refokussiert
Der Video-Konferenzanbieter Zoom gehört zu einer Branche, deren Aktien im Zuge der Corona-Pandemie eine besonders steile Fallhöhe entwickelt haben. Das Papier des kalifornischen Technologieunternehmens, das vor Beginn der Coronakrise in Europa kaum jemand kannte, war in der ersten Jahreshälfte 2020 um sagenhafte 500% auf eine Marktkapitalisierung von 140 Mrd. Dollar in die Höhe geschossen und wies auch nach einer gewissen Korrektur im laufenden Jahr noch immer ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von deutlich über 100 auf. Da neigen die Anleger schnell dazu, ihr Portfolio zu refokussieren, sobald sich die Aussichten auch nur geringfügig eintrüben.
War der von der Coronakrise ausgelöste Megatrend zum Homeoffice tatsächlich der maßgebliche Treiber für den Geschäftserfolg von Zoom, ist eine gewisse Antriebsschwäche in Zukunft absehbar. Denn neben einem festen Bodensatz an Heimarbeit, den alle Experten für die Wirtschaft querbeet vorhersagen, häufen sich täglich neue Meldungen über eine Rückkehrwelle ins Büro, die teils von den Beschäftigten selbst, teils von den Unternehmen ausgeht. Die Boombranche der internetbasierten Kollaborationsanbieter tut daher gut daran, die Geschäftsgrundlage zu verbreitern. Zoom hat dies bereits vor einiger Zeit mit der milliardenschweren Übernahme des Callcenter-Spezialisten Five9 getan, um auch bei größeren Unternehmenskunden Fuß zu fassen und sich hier neues Wachstumspotenzial zu erschließen. Ob dies für eine Gesellschaft, die beim Quartalsumsatz die Milliardenmarke in Aussicht stellt, ausreicht, um gegen Schwergewichte wie Microsoft oder Cisco anzutreten, muss sich allerdings noch zeigen. Beide Tech-Giganten rüsten ihre jeweiligen Software-Tools Teams und Webex ebenfalls mit neuen Funktionen auf, um deren Einsatzmöglichkeiten bei Unternehmenskunden zu erweitern und das Produkt entsprechend fester zu verankern.
Dabei können sie sich zudem auf eine riesige installierte Basis stützen. Darüber hinaus greift Microsoft zu bewährten Hausmitteln wie der kostenlosen Integration von Teams in die neue Windows-Edition. Dennoch bleiben die Wachstumsaussichten für neue Kommunikations-Tools verlockend genug, dass noch weitere Schwergewichte ihren Anteil sichern wollen. Salesforce hat sich die Übernahme des Bürokommunikationsexperten Slack satte 28 Mrd. Dollar kosten lassen und muss nun ebenfalls auf Angriff schalten, um den atemberaubenden Kaufpreis in Höhe des 31-fachen Jahresumsatzes von Slack vor den Investoren zu vertreten. Im Markt droht eine Schlacht mit harten Bandagen.