Reisewelle rollt weiter
Notiert in Frankfurt
Reisewelle rollt weiter
Von Alexandra Baude
Wer glaubt, die große Reisewelle würde nun abebben, nur weil die Kinder wieder in die Schulen zurückgekehrt oder erstmals dorthin marschiert sind, der täuscht sich. Und nein, gemeint sind nicht die Heerscharen an Rentnern, kinderlosen Ehepaaren oder Singles, die die Zeit rund um die Ferien genießen, um selbst in die große weite Welt aufzubrechen. Nicht nur, dass in der Vor-, Zwischen- und Nachsaison durchaus mehr Schnäppchen zu ergattern sind – es ist zugegebenermaßen auch erheblich ruhiger und komfortabler, wenn man sich am Hotelbuffet nicht mit einer Horde Kinder um die letzten Pommes streiten oder die Liegen am hoteleigenen Pool nicht bereits um 6 Uhr in der Früh mit einem Handtuch belegen muss. Was natürlich alles nur gruselige Klischees sind und jeder Grundlage entbehrt.
Das Klischee, dass die Deutschen gerne Bier trinken und permanent in Tracht gekleidet sind, könnte der unbedarfte Wiesn-Besucher als erfüllt ansehen. Die 188. Auflage des weltweit größten Volksfestes startet am 16. September mit einer der spannendsten Fragen: Wie viele Schläge braucht Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, bis er verkünden kann: „O’zapft is!“ Auch wenn der Blick auf die Sozialen Medien suggeriert, der Almauftrieb aka Promi-Aufgalopp in der Käfer-Wiesn-Schänke am ersten Festsonntag gäbe den Startschuss.
Über 2.000 Wiesn-Kopien weltweit
Die jährlich rund 6 Millionen Besucher aus aller Herren Länder können sich diesmal sogar bis zum 3. Oktober auf dem 34,5 Hektar großen Gelände auf der Theresienwiese tummeln. Normalerweise ist nach zwei Wochen Schluss mit der Gaudi, aber der Brückentag wird gerne noch mitgenommen. Was beliebt ist und viel Kohle bringt, wird gern nachgeahmt – so auch die Wiesn, die im Vor-Corona-Jahr 2019 einen Wirtschaftswert von 1,25 Mrd. Euro aufwies. Mehr als 2.000 Kopien gibt es auf der ganzen Welt, unter anderem in den USA, Kanada, Brasilien, China – und in Frankfurt, wo die vierwöchige Sause bereits seit dem 6. September läuft, für den echten Bayern aber schon allein angesichts des Ausschanks von Binding und Clausthaler indiskutabel ist.
In die Mainmetropole werden die Besucher wohl eher wegen Brauchtums anderer Art kommen: der Buchmesse, die 2023 vom 18. bis 22. Oktober stattfindet. Das Bücherfest ist zwar noch keine 99 Jahre alt wie die Krinoline auf der Wiesn – ein Karussell – oder freut sich auf die 15.000. Köpfung beim Traditionstheater Schichtl, doch auch hier kann gefeiert werden: Das Bücherfest wird 75. Von der ursprünglich kleinen Bücherschau in der Frankfurter Paulskirche hat sich die Messe mittlerweile weit entfernt: Der Treffpunkt der Buch- und Medienbranche zog vergangenes Jahr 180.000 Fach- und Privatbesucher aus über 100 Ländern sowie 4.000 Aussteller an und hat sich mit dem Bookfest weit über die Grenzen des Messegeländes auf die ganze Stadt hin ausgedehnt.
Etwas intimer wird es bei der EU, die wegen der Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg ohnehin als Reisezirkus verunglimpft wird. An diesem Freitag und Samstag treffen sich Eurogruppe und Ecofin samt Anhang und Medienvertretern in Santiago de Compostela. Im Gegensatz zu etlichen der zahlreichen Touristen, die sich gleichfalls dort aufhalten, dürfte der Tross aber kaum zu Fuß über den Jakobsweg gekommen sein. Vor allem nicht die zusätzlichen 33 Gäste aus den Celac-Staaten Lateinamerikas und der Karibik.