LEITARTIKEL

Ritt über den Bodensee

Ausgerechnet ein Stiftungsunternehmen! Im Jahr 6 nach der Lehman-Pleite scheint bei Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M & A) nichts mehr unmöglich. Das zeigt der Vorstoß von ZF Friedrichshafen, die sich eine Übernahme des...

Ritt über den Bodensee

Ausgerechnet ein Stiftungsunternehmen! Im Jahr 6 nach der Lehman-Pleite scheint bei Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M & A) nichts mehr unmöglich. Das zeigt der Vorstoß von ZF Friedrichshafen, die sich eine Übernahme des US-Autozulieferers TRW für bis zu 13 Mrd. Dollar zutraut. Und das, obwohl ZF nicht unter dem Druck von Investoren steht, zu dem nach Continental und Bosch führenden Hersteller der Branche aufzurücken.Dieses Jahr hat das Zeug, global mit den stärksten M & A-Aktivitäten seit 2007 aufzuwarten. Das weltweite Volumen beläuft sich bisher auf 2,1 Bill. Dollar, ein Anstieg von drei Vierteln gegenüber der Vorjahreszeit. In Europa wurden gut 90 % mehr Deals angekündigt als 2013, “feindliche” Versuche gibt es in den USA wie nie zuvor. Die Treiber für diesen Boom erscheinen weiterhin intakt – zumindest den chronisch positiv gestimmten Investmentbankern. Trotz der Kriegsgefahr in der Ukraine und in Nahost sind an den Kapitalmärkten die Irritationen überschaubar, exogene Risiken werden als beherrschbar gehandelt und sind offenbar eingepreist.Die Palette reicht vom – allerdings geplatzten – 120 Mrd. Dollar schweren Angebot des Viagra-Herstellers Pfizer für AstraZeneca, 56 Mrd. Dollar von Abbvie aus den USA für Shire ebenfalls in der Pharmabranche bis zu der eingefädelten europäischen Zementfusion von Holcim und Lafarge für 40 Mrd. Dollar. Hinzu kommen in den USA die Absichten des 83-jährigen Rupert Murdoch, den Mediengiganten Time Warner für 96 Mrd. Dollar zu schlucken. 70 Mrd. Dollar offeriert Comcast für Time Warner Cable, 67 Mrd. AT & T für DirecTV und 55 Mrd. Dollar bietet Valeant Pharma für Allergan. Nicht zu vergessen die 28 Mrd. Dollar für Lorillard-Zigaretten, die französischen Telekomdeals oder die komplexen Tauschaktionen von Glaxo und Novartis.Der Schnappschuss zeigt: 2014 ist ein Jahr der Megadeals. Dass zahlreiche Übernahmen von US-Konzernen die Flucht vor dem amerikanischen Fiskus zum Treiber haben, ist nicht alleinige Ursache für den Boom. Liquidität seitens der Notenbanken, historisch niedrige Zinsen und gestiegene Bewertungen sind der Stoff, aus dem M & A-Pläne sind. Entschuldung lohnt bei diesem Zinsniveau nicht und Investitionen ins operative Geschäft – seit Jahren vernachlässigt – dauern lange und sind angesichts bestehender konjunktureller Unsicherheiten kaum eine Alternative. Und das bloße Ausschütten hoher Cash-Bestände ist fantasielos.Auch wenn diesseits des Atlantiks oft dieselben Investoren hinter den Konzernen stehen wie jenseits, hinkt der hiesige Markt hinterher. Und das, obwohl die deutschen Konzerne ihre Bilanzen herausgeputzt haben und das Vertrauen in externe Aktionen zunimmt. Wesentliche Gründe für geringe M&A-Aktivitäten sind die andere Struktur der Wirtschaft hier mit weniger Telekom und Big Pharma sowie geringerer Druck aktivistischer Investoren und ein größere Binnenmarkt dort. Einen mutigen Schritt hat indessen Bayer mit dem Consumer-Care-Geschäft von Merck & Co. für 14 Mrd. Dollar getan. Conti nahm in den USA 1,9 Mrd. Dollar in die Hand. Auch Henkel oder Merck sind aktiv. Zwei von drei Dax-Adressen schauen sich mögliche Ziele an, schätzen Banker.Doch schon die Übernahme von Sky Deutschland ist primär Folge der US-Strategie Murdochs. Der Herauskauf bei Scania durch VW war lange erwartet, das Gebot von Tui für Tui Travel ebenfalls. Siemens zog bei Alstom den Kürzeren, RWE verkauft Dea, Daimler die verbliebene Hälfte der früheren Tognum, BASF Styrolution an den Joint-Venture-Partner, und die Telekom würde lieber heute als morgen den Schlussstrich unter T-Mobile USA ziehen: alles keine Fälle, in denen deutsche Unternehmen ihre Muskeln spielen lassen. Immerhin sind, anders als 2013, die Aktivitäten hiesiger Konzerne jenseits der Grenzen leicht höher als diejenigen, die von draußen hereinkommen.Die Argumentation, deutsche Unternehmen seien aus eigener Kraft stark genug, so dass M & A kaum zusätzliches Wachstum liefern könne, mag zwar bei einigen wie BMW oder der Post verfangen, nicht aber bei den meisten anderen. Umso mutiger erscheint der rein strategisch motivierte Schritt von ZF Friedrichshafen. Doch gilt: Je besser das M & A-Umfeld erscheint, umso törichtere Deals gehen auch durch – wie 2000 auf dem Dotcom-Hoch die Übernahme von Time Warner durch AOL oder 2007 die Attacke von RBS und ihren Verbündeten auf ABN Amro. M & A-Deals sind auch in Zeiten von billigem Geld und vermeintlich stabilen Rahmenbedingungen ein Ritt über den Bodensee. Nicht nur in Friedrichshafen.——–Von Walther BeckerDieses Jahr dürfte es global die stärksten Übernahmeaktivitäten seit 2007 geben. Deutschland hinkt zwar noch hinterher, doch die Manager werden mutiger.——-