Robert De Niro’s Waiting
Notiert in New York
Robert De Niro’s Waiting
Von Alex Wehnert
Der junge Mann mit dem ungekämmten schwarzen Haar und dem schlecht sitzenden Hut blickt sich hektisch nach allen Seiten um, bevor er etwas in den Briefkasten an der Straßenecke im New Yorker Stadtviertel Little Italy gleiten lässt. Dann stiehlt er sich, mit den Händen durch sein Gesicht fahrend, erst gehend, bald laufend, dann rennend, ein Bündel nervöser Energie, davon. Als er sich in einen Hauseingang duckt, explodiert der Briefkasten – und der junge Mann blickt, offenbar selbst erstaunt über das, was er angerichtet hat, auf die Trümmer und umherflatternden Schreiben.
Als leichtsinnigen und degenerierten Zocker „Johnny Boy“ Civello lernt ein breiteres Filmpublikum Robert De Niro 1973 in dieser Szene aus Martin Scorseses „Mean Streets“ kennen. Über 50 Jahre später zieht der seither zur Schauspiellegende aufgestiegene New Yorker wohl mehr Aufmerksamkeit auf sich als je zuvor – insbesondere aufgrund politischer Kontroversen. Denn der zweifach Oscar-prämierte und von der Girlgroup Bananarama im Evergreen „Robert De Niro’s Waiting“ verewigte Darsteller hat sich als einer der schärfsten Kritiker von US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump positioniert.
Hitzige Konfrontation mit Trump-Fans
Zuletzt sorgte eine Pressekonferenz De Niros am Rande des Prozesses um Schweigegeldzahlungen Trumps an eine Pornodarstellerin für Aufsehen. Der Schauspieler baute sich dabei außerhalb des Gerichtsgebäudes in Lower Manhattan auf und bezeichnete Trump als „Clown“, der es auf die Zerstörung der US-Demokratie anlege. Schnell wuchs sich der Auftritt zu einem hitzigen Wortgefecht mit Unterstützern des Ex-Präsidenten aus – mit großem medialen Nachhall.
Das Tribeca Festival will nun einmal mehr von der Aufregung um De Niros Person profitieren. So finden im Umfeld der laufenden Ausgabe der in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 ins Leben gerufenen New Yorker Filmfestspiele zahlreiche Vorführungen und Ausstellungen statt, um den inzwischen 80 Jahre alten Veranstaltungsbegründer zu ehren. Genügend Material ist vorhanden: Als charmanter und psychopathisch-paranoider Gangster in „Goodfellas“, als abgebrühter Bankräuber in „Heat“, als verletzlicher Schlafkranker in „Zeit des Erwachens“ oder seit der Jahrtausendwende als Klamauk-König in von der Kritik nur selten gefeierten Komödien – De Niro hat dem Publikum im Verlauf seiner Karriere viele Gesichter gezeigt.
Schauspiellegende befeuert Konflikte
Hängen bleibt zuletzt aber die Facette als politischer Aktivist. Seine offene Kritik an Trump mag einer hehren Motivation entspringen, doch tragen De Niros polemische Auftritte kaum zu einer Verständigung innerhalb einer im Wahljahr tief gespaltenen amerikanischen Gesellschaft bei, in der sich viele Menschen nicht durch die Wirtschaftspolitik von Präsident Joe Biden abgeholt und von den Eliten an den Küsten alleingelassen fühlen. Vielmehr befeuert er die zwischen verhärteten Parteifronten ausgetragenen Konflikte noch – und erinnert damit an seine alte Rolle als zündelfreudiger Zocker „Johnny Boy“.