LEITARTIKEL

Rochaden für die Lkw-Allianz

Mehr als 250 Jahre Industriegeschichte hat MAN erlebt und dabei mit Wurzeln in der Montanindustrie und im Maschinenbau so manche Wandlung durchgemacht. In ihrer heutigen Form als Vertragskonzern existiert MAN seit 1986, als die M.A.N....

Rochaden für die Lkw-Allianz

Mehr als 250 Jahre Industriegeschichte hat MAN erlebt und dabei mit Wurzeln in der Montanindustrie und im Maschinenbau so manche Wandlung durchgemacht. In ihrer heutigen Form als Vertragskonzern existiert MAN seit 1986, als die M.A.N. Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg auf die Gutehoffnungshütte verschmolzen und der Firmensitz nach München verlegt wurde. Mit Håkan Samuelsson wurde Anfang 2005 ein ehemaliger Scania-Manager zum Vorstandschef bestimmt, der den Konzern auf die Transportaktivitäten rund um Lkw und Dieselmotoren verschlankte. Der Schwede trimmte das Geschäft auf Internationalisierung, beging im Herbst 2006 aber einen verhängnisvollen Fehler.Um die sich anbahnende Branchenkonsolidierung aktiv zu gestalten, wollte er Scania schlucken – nur hatte Samuelsson sich in Vorbereitung der Offerte bei Scania-Großaktionär Volkswagen mit dem falschen Manager (Bernd Pischetsrieder) abgestimmt. So wurde VW-Patriarch Ferdinand Piëch von dem Ansinnen überrascht – und nahm daraufhin selbst die Zügel in die Hand, um seine Pläne zum integrierten Lkw-Konzern unter dem VW-Dach zu verwirklichen.Mit anderen Worten: Piëch drehte den Spieß um. Dabei ging Volkswagen schrittweise vor und baute ihre MAN-Position von anfänglich 15 % über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren auf nunmehr 75 % aus. Eine VW-Tochter ist MAN seit dem Juni, als die Wolfsburger die Schwelle von 50 % nahmen. Mit der nun erreichten Anteilsposition steht ein Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag bevor, der MAN dann auch formal ihrer Selbstständigkeit beraubt. Am Kapitalmarkt wird bereits darauf spekuliert, dass VW noch vor Jahresende eine ao. Hauptversammlung einberuft, um endlich die Lkw-Allianz umzusetzen.Nach all den Jahren des Zauderns drückt Piëch nun aufs Tempo, denn bei Modellzyklen von zehn Jahren in der Truck-Branche dauert es, bis die ganz großen Synergien realisiert werden. Der Anspruch ist so ehrgeizig wie nebulös formuliert: Bis 2020 sollen die Lkw-Aktivitäten Weltspitze sein. Um das zu erreichen, werden die Töchter MAN und Scania nun an die kurze Leine genommen – am Ende dieses Prozesses müssten sie mit den VW Nutzfahrzeugen eigentlich auf eine Gesellschaft verschmolzen werden. Dem alten Plan zufolge wäre Scania die aufnehmende Gesellschaft. Dass im Zuge der jüngsten Personalrochaden Scania-Manager mit Schlüsselpositionen betraut wurden, zeigt, dass Piëch die Schweden in der operativen Führungsrolle sieht – wobei Scania-Chef Leif Östling denn doch wohl mehr nach Wolfsburg weggelobt wurde. Das Personaltableau mag sich schon bald als Version 1.0 erweisen. Ob das geplante Lkw-Kompetenz-Zentrum nun in Södertälje, München, Hannover oder Wolfsburg angesiedelt wird – unklar. Da die meisten Anknüpfungspunkte (Stichwort: leichte Baureihen) zwischen MAN und den VW Nutzfahrzeugen bestehen, wäre eine deutsche Zentrale logisch.Aber Logik ist nicht zwingend die Grundlage für Konzernentscheidungen in Wolfsburg. Bei MAN und Scania ist nun ein System von Checks and Balances installiert, das Zuständigkeiten verwischt. Wenn der neue Chef von MAN Truck & Bus, Anders Nielsen, etwas umsetzen will, muss er vom Aufsichtsrat des Teilkonzerns (mit MAN-Vorstandssprecher Georg Pachta-Reyhofen) grünes Licht erhalten, der wiederum auf Konzernebene der SE von den hohen Herren um Piëch und Audi-Chef Rupert Stadler kontrolliert wird. Und nicht zu vergessen der VW-Konzernvorstand Leif Östling, der das ganze aus seiner Position (überwacht vom VW-Aufsichtsrat) überwachen soll. Der Wahnsinn hat zumindest System.Wirklich spaßig ist das nicht, gerät die Lkw-Branche gemessen an den jüngsten Absatzzahlen doch in schweres Wetter. Westeuropa verzeichnet zweistellige Rückgänge, auch das Lateinamerika-Geschäft ist ins Stottern geraten. MAN muss zudem in Indien einen Neustart vornehmen, in China geht das erste Vehikel aus der Sinotruk-Partnerschaft ein Jahr später als geplant vom Band – und die USA sind ein weißer Fleck auf der Landkarte, sofern nicht die ventilierte Navistar-Akquisition erfolgt. Doch das ist Zukunftmusik, vor allem wenn zu Hause der Schuh drückt: Angesichts des intensivierten Preiskampfes ist die Umsatzrendite des europäischen Lkw-Geschäfts auf 2 % zusammengeschnurrt, Kostensparprogramme werden formuliert. Vor diesem Hintergrund von der Weltspitze zu fabulieren, erscheint überambitioniert.——–Von Björn Godenrath ——- Bis 2020 sollen die Lkw-Aktivitäten von VW Weltspitze sein. Um das zu erreichen, werden die Töchter MAN und Scania an die kurze Leine genommen.