Assekuranz

Rückversicherer im Dauer-Stresstest

Der Klimawandel sorgt für wachsende Naturkatastrophenrisiken. Das ist ein Dauer-Stresstest für die Geschäftsmodelle der Rückversicherer.

Rückversicherer im Dauer-Stresstest

­Der jüngste verheerende Hurrikan „Ian“ gibt einen Vorgeschmack darauf, was im Klimawandel künftig der Normalfall ist. Tropische Wirbelstürme, die Gesamtschäden in dreistelliger Dollar-Milliardenhöhe anrichten und viele Menschenleben fordern, werden in regelmäßigen Abständen das Bild der weltweiten Belastungen aus Naturkatastrophen prägen. Die jährlich von Anfang Juni bis Ende November dauernde Hurrikansaison wird mehr denn je nicht nur zu einer Belastungsprobe für die überwiegend betroffenen Regionen, sondern auch für die Versicherungswirtschaft. Es wird zu einem Dauer-Stresstest für die Assekuranz.

Denn Hurrikans und Tornados auf der Erdnordhalbkugel sowie Taifune in Ost- und Südostasien zählen zu den teuersten Naturgefahren für die Assekuranz. „Ian“ nimmt womöglich die Dimension des Hurrikans „Katrina“ an, der vor 17 Jahren New Orleans traf und für einen Gesamtschaden von 125 Mrd. Dollar sorgte, von dem 62 Mrd. Dollar die Versicherer tragen mussten. Aus Sicht der Munich Re, des größten Rückversicherers der Welt, ist „Ida“, der weite Teile der beiden US-Bundesstaaten Florida und South Carolina verwüstete, ein Beleg für die Zunahme extremer Unwetter infolge der Erderwärmung.

Der Klimawandel sorgt dafür, dass die zerstörerische Intensität von Wirbelstürmen im Nordatlantik zunimmt. Die Wassertemperaturen steigen. Das hat eine verheerende Wirkung. Klimaforscher rechnen damit, dass bei einer tendenziell gleich bleibenden Anzahl tropischer Wirbelstürme der Anteil besonders starker Hurrikans mit extremen Niederschlägen zunimmt. Treffen diese auf die Südostküste der USA („landfall“), sind Großschäden programmiert . Experten befürchten, dass die Hurrikan-Zugbahnen sich bis hinauf nach Kanada ausweiten. Dadurch steigt künftig das Risiko von Hurrikan-Großschadenserien.

Für die Assekuranz sind solche Ereignisse ein Einschnitt, da die USA der größte Versicherungsmarkt der Welt sind. Mit zunehmendem Wohlstand wächst die Versicherungsdichte von Ballungsräumen in Industriestaaten. Die Bebauung dieser Region hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Das macht den südöstlichsten US-Bundesstaat besonders anfällig für Naturkatastrophenschäden. Geht die Entwicklung so weiter, dürften irgendwann die Grenzen der Versicherbarkeit stark gefährdeter Regionen erreicht sein. Im Extremfall würden sich die Versicherer vollständig aus dem Segment des Naturkatastrophenschutzes in Nordamerika zurückziehen. Vater Staat müsste dann komplett einspringen. Bisher ist dies aber noch nicht der Fall, nur in Teilen, wie die Nichtdeckung von Schäden an der Infrastruktur zeigt. Deichbau und Küstenschutz ist Sache der öffentlichen Hand.

Ungeachtet dessen ist Florida unter Kosten-Nutzen-Aspekten vor allem für die großen Rückversicherer nach wie vor ein lukrativer Markt, wenngleich die großen drei Anbieter – neben der Munich Re sind das die Swiss Re (Nummer 2 im Markt) und die Hannover Rück (Nummer 3) – bei der Zeichnung von Neugeschäft und in den turnusmäßigen Vertragserneuerungsrunden mit Erstversichern mit wachsender Vorsicht agieren. Als Faustregel für sie gilt: Sind die Versicherungsnehmer nicht gewillt, überzeugende Präventivmaßnahmen einzuleiten, um die Folgen extremer Stürme abzumildern, schwindet die Bereitschaft der Rückversicherer, diese mit Deckungen gegen Naturkatastrophen auszustatten.

Diese Botschaft wurde auf dem zurückliegenden turnusmäßigen Jahrestreffen der Rückversicherer im September in Monte Carlo nochmals deutlich. Die „Big Three“ der Branche können sich eine solche Haltung leisten, befindet sich doch der Markt aufgrund rückläufiger Kapazitäten zyklusbedingt in einer Preisspirale nach oben. Im Fachjargon spricht man von einem „harten“ Rückversicherungsmarkt. Die derzeit weltweit galoppierende Inflation und „Ian“ werden dafür sorgen, dass die Raten für Naturkatastrophendeckungen auch 2023 steigen.

Dieser Trend wird sich aufgrund des Klimawandels fortsetzen. Denn neben Stürmen sind Überflutungen nach Starkregen, Waldbrände wie in Kalifornien und Australien sowie lange Dürreperioden infolge einer zunehmenden Trockenheit weiter Regionen der Erde wesentliche Merkmale der Erderwärmung. Für die Rückversicherer bedeutet das, künftig noch präziser die Eintrittswahrscheinlichkeiten ex­tremer Unwetterereignisse zu modellieren. Nur so können sie sicherstellen, dass ihre Geschäftsmodelle stabil bleiben.

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