Notiert in Tokio

Schattenseiten der Anime-Industrie

Japan geht gegen die Ausbeutung von Freiberuflern vor. Das Gesetz hilft auch den Illustratoren und Sprechern von Zeichentrickfilmen.

Schattenseiten der Anime-Industrie

Notiert in Tokio

Schattenseiten der Anime-Industrie

Von Martin Fritz

Japanische Verlage produzieren jährlich 400 Anime-Titel für Kino und Fernsehen, viele davon laufen auch im Ausland. „Der Junge und der Reiher“ von Alt-Regisseur Hayao Miyazaki erhielt den „Golden Globe 2024“ für den besten Zeichentrickfilm. „Demon Slayer: Mugen Train“ von Haruo Sotozaki spielte 2020 weltweit über 500 Mill. Dollar ein. Auch das globale Streaming-Publikum liebt das Genre, weshalb Sony sich kürzlich an einem der größten Anime- und Manga-Händler Japans beteiligte.

Kritik vom UN-Menschenrechtsrat

Im vergangenen Jahr machte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auf die Schattenseiten dieser Branche aufmerksam. Eine Arbeitsgruppe verwies in einem Bericht vom Mai auf „übermäßig lange Arbeitszeiten“ und niedrige Löhne sowie die Missachtung der Rechte am geistigen Eigentum. Der Bericht war der Regierung in Tokio peinlich, da sie den Anime-Export bei ihrer Cool-Japan-Initiative fördert.

Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits Vorbereitungen für ein Gesetz zum besseren Schutz von Freiberuflern. Das Parlament verabschiedete es im November. Darauf leitete die Kartellbehörde eine eigene Studie über die unfairen Arbeitspraktiken im Anime- und Manga-Bereich ein und sammelte Beschwerden von Betroffenen. Die Arbeitsaufteilung der Branche fördert Ausbeutung. Verlage, Markeninhaber und Merchandise-Hersteller legen gemeinsam ein Budget und die Verteilung der Lizenzgebühren fest. Produktionsfirmen vergeben die Aufträge an kleine Anime-Studios und Sprecher-Agenturen, die wiederum noch kleinere Firmen und Freiberufler engagieren, oft ohne formelle Verträge über Honorare und spätere Tantiemen. Der Zeitdruck durch enge Abgabefristen zwingt Animatoren und Sprecher zu überlangen Arbeitszeiten. Dann müssen sie oft monatelang auf ihr Geld warten.

Verbesserungen für Freiberufler

Das neue Gesetz für Freiberufler verpflichtet Unternehmen dazu, allen Arbeitnehmern schriftliche Verträge mit Angaben zur Vergütung zur Verfügung zu stellen. Unternehmen dürfen nun keine zusätzliche Arbeit mehr verlangen, ohne eine zusätzliche Vergütung zu versprechen, und müssen die Arbeitnehmer innerhalb von 60 Tagen bezahlen. Die Regierung verschärft die Überwachung. Aufsichtsbehörden fordern die Arbeitnehmer auf, Gesetzesverstöße zu melden.

Ein Problem beseitigt das Gesetz jedoch nicht: Viele Japaner lieben Anime und Manga so sehr, dass sie bereit sind, sich selbst auszubeuten, nur um in diesem Bereich zu arbeiten. Trotz der extrem schlechten Arbeitsbedingungen kämpfen junge Leute um den Einstieg in die Branche, sei es als Animatoren oder als Sprecherinnen. Jedoch kommt es nun zu einer Konsolidierung. Trotz aller Begeisterung schrumpft durch die demografische Alterung die Zahl der Kreativarbeiter. Einige Studios zahlen inzwischen höhere Honorare, um gute Leute zu halten, und rekrutieren Zeichner im Ausland, etwa auf den Philippinen. Andere experimentieren mit generativer KI, um das Zeichnen, das bisher fast nur per Hand am Bildschirm erfolgt, zu automatisieren.

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