Höhenflug der Neobörsen
Regionalbörsen
Höhenflug der Neobörsen
Klassische Handelsplätze tun sich oft schwer, während die Neulinge mit günstigen Preisen punkten können.
Von Thomas Spengler
Seit vor gut 25 Jahren viele Experten das Totenglöckchen für die meisten Handelsplätze außerhalb von Frankfurt zu hören glaubten, ist die deutsche Börsenwelt zwar eine andere geworden. Das große Börsensterben im Land aber ist bisher ausgeblieben. Lediglich von dem Traditionshandelsplatz Bremen ist nur mehr eine Stiftung übrig geblieben (seit 2007). Mit der Berliner Börse droht allerdings einem weiteren klassischen Handelsplatz im Zuge zunehmender Bedeutungslosigkeit per Ende 2025 das Aus. Ansonsten gilt die Rede von den Totgesagten, die bekanntlich länger leben. Denn die restlichen Börsen in Frankfurt, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, München und Stuttgart existieren weiter – ja, manche davon sogar quicklebendig.
Im Übrigen, wenn hier von Frankfurt die Rede ist, ist die öffentlich-rechtliche Wertpapierbörse (FWB) gemeint und nicht der börsliche Großhandelsplatz der Deutschen Börse AG, Xetra. Außerdem ist der Begriff der Regionalbörsen, die einst den Handel von Aktiengesellschaften und Banken vor Ort betreuten, fehl am Platz. Schließlich sind elektronisch von jeder Bank oder jedem Online-Broker aus sämtliche Börsen im Land ansteuerbar.
Auch der Begriff Präsenzbörse, der aus der Zeit des Zurufhandels vor Ort stammt, ist längst überholt. Schließlich stellt die intensive elektronische Vernetzung von Börsen, Banken und Brokern die Basis für Tempo und Innovationen im Handel, aber auch für hohe Liquidität. Tatsächlich war es lange Zeit nur die Börse Stuttgart, die 1999 mit der Schöpfung des Marktsegments Euwax eine nachhaltige Nische in größerem Ausmaß etabliert hat – und damit die Marktführerschaft im Handel mit verbrieften Derivaten bis heute hält.
Ganz anders verhält es sich mit den klassischen Börsen Hamburg, Hannover und Düsseldorf, die zusammen mit dem elektronischen Handelssystem Quotrix (Düsseldorf) bei der Trägergesellschaft Börsen AG (Böag) in Hamburg untergeschlupft sind. Das bringt zunächst keine einzige zusätzliche Order, aber es spart Kosten. Aufgrund niedriger Volumina traut man sich ebenso wenig wie die Traditionsbörse München, die Umsätze der einzelnen Börsen zu publizieren. Öffentlich gemacht wird nur ein Gesamtumsatz von 67 Mrd. Euro, den die Böag-Börsen auf die Waage bringen. Den Löwenanteil davon steuert die Lang & Schwarz Exchange (LSX) bei, deren Träger ebenfalls die Böag ist und die seit 2018 als echte Börse anerkannt ist. Eng eingebunden ist hier mit Lang & Schwarz Tradecenter ein privater Marketmaker, der den Laden schmeißt.
Diese Konstruktion, die die Vorteile des preislich günstigen außerbörslichen Direkthandels mit der Qualität des überwachten Börsenhandels vereinen soll, kennzeichnet Böag-Aufsichtsratschef Thomas Ledermann als „Neobörsen“. Die Bezeichnung passt auch zur 2015 gegründeten Münchner Gettex Exchange, bei der unter Einbindung des Marketmakers Baader Bank weder Maklercourtage noch Börsenentgelte anfallen und eine neutrale Handelsüberwachungsstelle für Anlegerschutz sorgt.
Wegweisend für diesen Typ der Neobörse ist die Berliner Tradegate Exchange, die unter dem Dach der Finanzholding Berliner Effectengesellschaft 2009 den Ritterschlag der Aufsichtsbehörde erhielt und mit 146 Mrd. Euro längst zum umsatzstärksten deutschen Handelsplatz nach Xetra avanciert ist. Stuttgart mit 90 Mrd. Euro Umsatz wurde überholt, die nicht gerade vor Ideen sprühende FWB mit 25 Mrd. Umsatz weiter abgehängt.
Ergo geht es auch an der Börse darum, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – nämlich die Kombination von „günstig und gut“ – das heißt, ein günstiges Entgelt für Anleger sollte einhergehen mit einer hohen Handelsqualität, für die insbesondere die börsliche Handelsüberwachung steht. Entscheidende Impulse in diese Richtung gingen in den vergangenen Jahren immer wieder von Tradegate sowie Lang & Schwarz aus, aber auch von Gettex, so dass die Neobörsen als Sieger gegenüber den klassischen Handelsplätzen gelten können. Wenn das Ziel von „günstig und gut“ aber vor allem durch Skaleneffekte zu erreichen ist, dürfte jetzt schon klar sein: Der herrschende Verdrängungswettbewerb wird sich weiter verschärfen.