Schifffahrt auf der Suche nach dem grünen Antrieb
Von Carsten Steevens, Hamburg
Die Containerschifffahrt erlebt eine außergewöhnliche Blüte. Die im Verlauf der Coronakrise stark gestiegene Transportnachfrage und zugleich Transportkapazitäten, deren Verfügbarkeit sich empfindlich verknappt hat, lassen Fracht- und Charterraten in die Höhe schnellen. Gewinne der großen Reedereien verdoppeln oder verdreifachen sich, Kapitalkosten werden endlich verdient. Cash-flows, Liquidität und auch die Verschuldung erreichen Ebenen, die fast vergessen lassen, dass sich die Branche noch vor wenigen Jahren im Krisenmodus befand.
Nicht mehr gesund
Die Ratingagentur Moody’s, die ihren Ausblick für die weltweite Schifffahrt nach dem ersten Halbjahr auf „positiv“ von „stabil“ erhöhte, erwartet, dass die Rekordstände der Frachtraten im restlichen Jahresverlauf halten und auch 2022 weiter auf hohem Niveau bleiben werden. Das aktuelle Niveau in einem Markt, der vor allem im Transpazifikverkehr als überhitzt gelten kann, halten Schifffahrtsgesellschaften selbst inzwischen für nicht mehr gesund. So beschloss etwa der französische Branchendritte CMA CGM unlängst, bis Februar 2022 auf weitere Steigerungen bei den Spot-Raten zu verzichten – in Sorge um langfristige Kundenbeziehungen. Mit Blick auf die durch Staus in Häfen wie Los Angeles/Long Beach oder Yantian/Ningbo sowie durch fehlende Container verursachten Lieferverspätungen könne der schlechte Service zu höchsten Preisen nicht im eigenen Interesse sein, heißt es aus dem Reedereisektor. Auch deshalb ordern die Gesellschaften Zehntausende Container, die sich deutlich verteuert haben. Zwanzig-Fuß-Standardcontainer (TEU) kosten im Schnitt derzeit rund 3000 Dollar. Von einer Verdreifachung der Preise im Verlauf der Pandemie ist die Rede. Wer sie schnell benötigt, muss noch mehr zahlen – was sich angesichts der aktuellen Ratenniveaus aber offensichtlich in vielen Fällen lohnt.
Während man in der Branche inzwischen von einer spürbaren Normalisierung nicht vor dem zweiten Quartal kommenden Jahres ausgeht, nutzen die Reedereien die außerordentliche Gewinndynamik vermehrt auch wieder für Schiffsbestellungen. So gab der dänische Weltmarktführer Mærsk im August bekannt, acht Schiffe mit einer Stellplatzkapazität von jeweils rund 16000 TEU zu ordern, die außer mit konventionellem Treibstoff mit CO2-neutralem Methanol betrieben werden können. Die größte deutsche Containerreederei Hapag-Lloyd beauftragte eine koreanische Werft im Dezember 2020 und im Juni dieses Jahres, jeweils sechs über 23500 TEU große Schiffe zu bauen, die außer mit konventionellem Treibstoff auch mit Flüssigerdgas (LNG) fahren. Die Investitionen zeigen vor allem das Bestreben, die Flotten zu optimieren – durch Austausch älterer Schiffe die Effizienz zu steigern und die klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren. Sie zeigen aber auch, dass nach wie vor noch offen ist, was der CO2-neutrale Brennstoff der Zukunft für die großen Seeschiffe sein wird. Und wann ölbetriebene Schiffe der Vergangenheit angehören werden.
Wette auf die Zukunft
In der Branche, die laut einem Bericht der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und der Europäischen Umweltagentur (EEA) im Jahr 2018 für 13,5% aller Treibhausgasemissionen der EU verantwortlich war, sucht man nach Technologien und Kraftstofflösungen für die Energiewende in der Schifffahrt. Um die noch notwendigen erheblichen Fortschritte in Forschung und Entwicklung zu beschleunigen, vereinbarten die in Genf ansässige zweitgrößte Reederei MSC sowie der britische Öl- und Gaskonzern Shell in diesem Sommer eine Kooperation zur Dekarbonisierung der Schifffahrt. Geprüft werden sollen unter anderem Optionen wie aus Wasserstoff gewonnene Kraftstoffe und die Verwendung von Methanol als Schiffstreibstoff. Dass Mærsk bei der ersten Schiffsneubestellung des Unternehmens seit 2015 bereits Schiffe ordert, die mit Methanol betrieben werden können, ist eine Wette auf die Zukunft.
Möglich ist der Einsatz von CO2-freiem E-Methanol bislang nicht – zudem müsste er weltweit in großen Mengen verfügbar sein. Der jährliche Bedarf pro Schiff wird auf 40000 Tonnen Methanol geschätzt. Hapag-Lloyd hingegen setzt mit LNG vorerst auf den emissionsärmsten Kraftstoff, der aktuell verfügbar ist und der nach Auslieferung der Schiffe CO2-Einsparungen von 15 bis 25% ermöglichen soll. Große Investitionsrisiken sehen die Hamburger als Branchenfünfte in der Bestellung der – umrüstbaren – Schiffe mit Dual-Fuel-Antrieb offenbar nicht. Mittelfristig, so lautet das Ziel, sollen Schiffe mit synthetisch erzeugtem Methangas klimaneutral betrieben werden. Dazu müsste der Treibstoff unter Verwendung von Grünstrom hergestellt werden.
Bei der aktuellen Ausweitung des Orderbuchs auf möglicherweise 20% der globalen Flotte in diesem Jahr und dem üblichen Lebenszyklus eines Containerschiffs von bis zu 25 Jahren wird die Branche darauf achten müssen, dass die Bestellungen dem absehbaren Wachstum gerecht werden. Ein irrationales Bestellverhalten, das an die Jahre mit ruinösem Wettbewerb nach 2007 erinnert, sieht man bei den Reedereien gegenwärtig nicht.