Schneiders Bewährungsprobe
Nestlé
Schneiders Bewährungsprobe
Von Martin Dunzendorfer
Erstmals seit Anfang 2019 ist die Nestlé-Aktie auf Schlusskursbasis mit 88,82 sfr deutlich unter die Marke von 90 sfr gefallen. Ein Minus von 5% ist für einen defensiven Wert wie den Lebensmittelkonzern aus der Schweiz ungewöhnlich, zumal Nestlé mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet 239 Mrd. Euro zu den Börsenschwergewichten in Europa gehört. Was war also die Ursache für diese Ausnahme? Nestlé hatte seit geraumer Zeit – wie viele andere Konsumgüterproduzenten – ein essenzielles Problem: Wachstum nährte sich nur noch von Preisanhebungen; das Verkaufsvolumen ging hingegen zurück. Da aber zuletzt immer deutlicher wurde, dass die Preise, die Verbraucher noch zu tolerieren bereit waren, bei vielen Markenprodukten erreicht waren, hielt sich Nestlé im abgelaufenen Kalenderviertel mit stärkeren Anhebungen zurück, um die Kunden bei der Stange zu halten. Auf die Volumenentwicklung hatte das den erwartet positiven Effekt: Die verkaufte Menge wuchs um 2,2%.
Konsensschätzung verfehlt
Der jüngste Mix aus Preiserhöhungen und Volumenzuwachs führte aber einerseits zu einem organischen Wachstum, das unter der Konsensschätzung der Analysten lag, weil die zusätzliche Verkaufsmenge den Effekt der geringeren Preisanhebungen nicht ausglich. Andererseits steigen viele Kosten – u.a. für Werbung – weiter kräftig; das schmälert die Gewinnaussichten, zumal der starke Franken belastet.
Nach dem Amtsantritt von CEO Mark Schneider Anfang 2017 hatte der ehemalige Vorstandschef von Fresenius (2003 bis 2016) an der Unternehmensstrategie nicht viel geändert. Wie sein Vorgänger Paul Bulcke, der seither als Verwaltungsratspräsident fungiert, war sein Credo, wachstumsschwache und renditearme Assets entweder aufzupeppen oder abzustoßen. Im Gegenzug sollten Unternehmen oder Unternehmensteile erworben werden, die starkes Wachstum und hohe Profitabilität vorwiesen und diese Merkmale auch langfristig versprachen – selbst wenn der Preis für den Zukauf gemessen an den Multiples hoch war. Anders als sein Vorgänger war Schneider in der Umsetzung aber konsequenter; man könnte auch sagen: ungeduldiger.
Aktie tendiert seit Jahreswende 2021/22 abwärts
Der unternehmerische Erfolg gab Schneider lange Zeit Recht, was sich auch im Kursverlauf zeigte. Zur Jahreswende 2021/22 erreichte die Nestlé-Aktie ihr Rekordhoch bei 130 sfr. Doch seither geht es peu à peu abwärts.
CEO Mark Schneider steht nun vor einer großen Bewährungsprobe. Aufsehenerregende Akquisitionen gab es schon lange nicht mehr, ebenso wenig nennenswerte Desinvestitionen. Ein Joint Venture hier, ein kleiner Zu- oder Verkauf da. Das war´s. Solches Feintuning ist für sich genommen nichts Negatives. Doch Schneider droht – wie so viele Manager vor ihm – ein Opfer der auch von ihm selbst geschürten Erwartungshaltung zu werden. Ein für 2024 in Aussicht gestelltes organisches Wachstum von „mindestens 3%“ (i.V. 7,2%) stellt Investoren nicht zufrieden. Schneider muss zügig einen Weg finden, um aus der Wachstumsdelle herauszukommen, bevor die Zweifel an ihm virulent werden.