Sozialpartnermodell ist keine eierlegende Wollmilchsau
Sozialpartnermodell ist keine eierlegende Wollmilchsau
Die Chemiebranche nutzt die ungewohnte Flexibilität und geht mit zwei Modellen neue Wege in der Altersvorsorge. Ohne Garantien, aber auch ohne garantierten Erfolg.
Von Wolf Brandes
Mit der Einführung der „ZielrenteChemie“ in der chemischen Industrie hat das Sozialpartnermodell (SPM) in Deutschland einen weiteren Meilenstein erreicht. Diese Form der betrieblichen Altersvorsorge ist speziell für tarifgebundene Unternehmen entwickelt worden und bietet eine Alternative zu den bisherigen Modellen der betrieblichen Altersversorgung (bAV). In der chemischen Industrie gibt es noch einen Chemiepensionsfonds. Auf der anderen Seite hat sich die IG Metall schon 2023 explizit gegen das SPM ausgesprochen.
„Reine Beitragszusage“
Das SPM wurde 2018 im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes eingeführt. Es unterscheidet sich von herkömmlichen bAV-Durchführungswegen vor allem dadurch, dass es keine Rentengarantie bietet. Stattdessen basiert es auf einer sogenannten reinen Beitragszusage. Danach ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, haftet aber nicht für die spätere Rentenhöhe. Das Modell soll durch höhere Renditechancen überzeugen, da die Beiträge in renditestarke, aber schwankungsanfällige Anlagen investiert werden.
Eine der grundlegenden Eigenschaften des SPM ist die enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, den Sozialpartnern. Gemeinsam wird eine Kapitalanlagestrategie entwickelt, die das Risiko zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufteilt. Dabei können zusätzliche Sicherungsbeiträge vereinbart werden, um die Risiken von Marktschwankungen zu minimieren.
Kooperation mit Fidelity
Das jüngste Beispiel für die Umsetzung des SPM ist die ZielrenteChemie, die von der Höchster Pensionskasse auf Basis des Tarifvertrags in Zusammenarbeit mit Fidelity International organisiert wird. Diese Variante bietet Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern eine neuartige Altersvorsorge anzubieten. Entscheidend für die Ausgestaltung des SPM ist der Tarifvertrag. Auf dessen Basis werden wesentliche Parameter festgelegt, beispielsweise ein Schwankungskorridor von 100 bis 125%. Die Spanne bezieht sich auf den Kapitaldeckungsgrad, also Kollektivvermögen in Relation zum Barwert aller Rentenzahlungen.
Ein Vorzeigemodell?
Das Besondere an der ZielrenteChemie ist die Anlage der Beiträge in Einzelkonten während der Ansparphase und in kollektive Rentnertöpfe während der Rentenphase. Durch diese kollektive Verwaltung in der zweiten Phase soll das Risiko für Rentenkürzungen minimiert werden, heißt es. Ein entscheidendes Element ist der Sicherungspuffer, in den der Arbeitgeber 5% der Beiträge einzahlt. Dieser Puffer war den Gewerkschaften besonders wichtig und dient als Absicherung bei starken Marktschwankungen.
Ein weiterer Vorteil der ZielrenteChemie ist die Möglichkeit, die Kapitalanlage flexibel zu gestalten. Die Strategie sieht eine breite Diversifikation über verschiedene Länder, Branchen und Anlageklassen hinweg vor. Anders als bei vielen Rentensparmodellen wird nicht mit einem Lifestyle-Ansatz gearbeitet, sondern eine gleichbleibende Kapitalanlagestrategie gewählt. Das ist eine Entscheidung, die zwischen dem der Pensionskasse und Fidelity getroffen wurde.
4 Prozent Rendite im Jahr erwartet
Die Renditeerwartung liegt nach Berechnungen von Fidelity International bei etwa 4% pro Jahr. Das führt dazu, dass im Vergleich zu einem klassischen bAV-Modell mit einem Garantiezins von 0,25% deutlich höhere Startrenten möglich sind. In einer Simulation kommt Fidelity auf eine Startrente von 493 Euro pro Monat bei der ZielrenteChemie im Vergleich zu 267 Euro bei einem Garantiemodell.
Der Chemiepensionsfonds
Bereits im Herbst 2022 wurde das erste branchenspezifische SPM in der chemischen Industrie eingeführt: der Chemiepensionsfonds. In Kooperation mit der R+V Versicherungsgruppe und unter enger Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) setzt dieses Modell ebenfalls auf eine kapitalmarktorientierte Anlagestrategie.
Auch dieses Modell zielt darauf ab, langfristig stabile Renditen durch eine höhere Aktienquote zu erwirtschaften. Ein Unterschied der beiden Chemie-Modell liegt in der Durchführung. In dem einen Fall läuft es über eine Pensionskasse, im anderen über einen Pensionsfonds.
Scheitern bei der IG Metall
Während das SPM in der chemischen Industrie Erfolge verzeichnet, sieht es in anderen Branchen weniger rosig aus. Ein prominentes Beispiel ist das geplante SPM der IG Metall, das im Jahr 2023 offiziell gescheitert ist.
Auf ihrem Gewerkschaftstag erteilte die IG Metall dem Modell eine Absage. Hauptkritikpunkt der Gewerkschaft war, dass das Modell den Arbeitgebern ermögliche, sich aus der Verantwortung zu stehlen, da sie lediglich Beiträge leisteten, aber keine Rentengarantie übernehmen müssten. Dies widerspreche den Grundsätzen der IG Metall, die für eine verlässliche Altersvorsorge eintritt. Das sieht sie nur in der gesetzlichen Rente erfüllt.
Fehlende Rentengarantie verunsichert
Dieses Scheitern verdeutlicht die Schwierigkeiten, die das 2018 eingeführte SPM mit sich bringt. Insbesondere die fehlende Rentengarantie und die damit verbundene Unsicherheit für die Beschäftigten sind Punkte, die viele Gewerkschaften und Arbeitnehmer skeptisch machen.
Im Vergleich zu klassischen Modellen der betrieblichen Altersvorsorge bietet das SPM einige Vorteile, aber auch Herausforderungen. Bei den mittelbaren bAV-Durchführungswegen gibt es in der Regel eine Subsidiärhaftung des Arbeitgebers, wonach er für die zugesagte Leistung einstehen muss, wenn der externe Versorgungsträger nicht leistet.
Das Sozialpartnermodell setzt dagegen auf Flexibilität und höhere Renditechancen. Dies führt in der Regel zu deutlich höheren Anfangsrenten, birgt jedoch auch das Risiko von Rentenkürzungen bei negativen Marktentwicklungen. Für Unternehmen bietet es den Vorteil, dass sie nicht für die Rentenhöhe haften müssen, was finanzielle Planungssicherheit schafft. Das Modell ist daher vor allem für Branchen mit starken Sozialpartnern und hoher Tarifbindung attraktiv.
Neues Gesetz bringt Änderungen
Die Reform des Betriebsrentenstärkungsgesetzes II, die jetzt auf den Weg gebracht wurde, hat weitreichende Folgen für das Sozialpartnermodell. Ziel der Reform ist es, die Verbreitung der bAV, insbesondere des SPM, zu fördern und auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen zugänglich zu machen. Dies könnte dazu führen, dass das SPM breiter in der deutschen Wirtschaft verankert wird, so die Hoffnung in Berlin.
Eine wesentliche Neuerung der Reform ist die Ausweitung der Geringverdiener-Förderung. Die Einkommensgrenze für den Förderbetrag wird dynamisiert, sodass auch Beschäftigte mit geringem Einkommen von einer betrieblichen Altersvorsorge profitieren können. Zudem sollen Pensionskassen mehr Spielraum in ihrer Kapitalanlage erhalten, um höhere Renditen zu erzielen.
Reform bringt mehr Flexibilität
Für das SPM bedeutet die Reform, dass es flexibler gestaltet werden kann. So sollen auch Unternehmen ohne Tarifbindung die Möglichkeit haben, sich einem bestehenden SPM anzuschließen. Dies könnte das Modell attraktiver für kleine und mittelständische Unternehmen machen.
Das Sozialpartnermodell habe das Potenzial, die betriebliche Altersversorgung revolutionieren, hofft man in Politik und Wirtschaft. Mit der „ZielrenteChemie“ und dem „Chemiepensionsfonds“ seien erste Schritte gegangen worden. Die Reform des Betriebsrentenstärkungsgesetzes könnte Impuls geben, um das Modell breiter zu etablieren. Eine eierlegende Wollmilchsau ist das Sozialpartnermodell aber nicht.