Im BlickfeldWeg vom Papierkram

Start-up-Investoren bauen auf das Handwerk

Immer mehr Software-Start-ups wollen Handwerksbetriebe von lästigem Papierkram befreien. Mit dem Ansatz haben sie zuletzt verstärkt das Interesse von Wagniskapitalinvestoren auf sich gezogen. Das Rennen um die digitale Vorherrschaft im „Kernstück der deutschen Wirtschaft“ beginnt.

Start-up-Investoren bauen auf das Handwerk

Start-up-Investoren bauen auf das Handwerk

Immer mehr Software-Start-ups wollen Handwerksbetriebe von lästigem Papierkram befreien. Mit dem Ansatz haben sie zuletzt verstärkt das Interesse von Wagniskapitalinvestoren auf sich gezogen. Das Rennen um die digitale Vorherrschaft im „Kernstück der deutschen Wirtschaft“ beginnt.

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Sie heißen Hero, Plancraft, Meisterwerk oder – Sitcom-Fans aufgepasst – Tooltime und sie haben es mit ihren Software-Angeboten auf eine ganz besonders vielseitige Zielgruppe abgesehen: das deutsche Handwerk. Mit seinen zahlreichen Gewerbezweigen, die von Maurern, Tischlern, Dachdeckern, Elektrotechnikern, Installateuren und Glasern bis hin zu Buchbindern und Uhrmachern reichen, ist der oft als “Kernstück der deutschen Wirtschaft" bezeichnete Sektor zuletzt verstärkt in den Fokus von Start-ups und ihren Investoren gerückt.

Die Szene sieht in der Branche trotz ihrer Kleinteiligkeit großes Potenzial für Effizienzgewinne und Wachstum. Das Zauberwort heißt Digitalisierung: Weg von Zettelwirtschaft und manueller Auftragskalkulation, Baustellendokumentation, Arbeitszeiterfassung und Rechnungstellung hin zu cloudbasierter Software, mit der sich Aufträge papierlos und von überall aus per App abwickeln lassen. Der Markt entwickele sich „derzeit so dynamisch und vielversprechend wie nie zuvor“, sagt Bertram Wildenauer, CEO des 2018 gegründeten Unternehmens Meisterwerk, das eine gleichnamige App entwickelt hat, die die Betriebsabläufe bei den Kunden vereinfachen soll.

Investoren bringen sich in Stellung

Investoren sind zuletzt wiederholt auf den Zug aufgesprungen. Erst Ende Juli hat Meisterwerk mit Sitz in Berlin in einer Series-A-Finanzierungsrunde 6 Mill. Euro eingesammelt. Die Runde wurde angeführt vom portugiesischen Wagniskapitalgeber Semapa Next. I2BF aus New York, Nexxus Capital aus Singapur sowie Bestandsinvestoren, darunter Speedinvest aus Wien, waren ebenfalls beteiligt.

Noch mehr Geld floss kurz zuvor in das Konkurrenzunternehmen Hero aus Hannover. Der Anbieter ist zwar erst zwei Jahre nach Meisterwerk an den Start gegangen, hat aber Anfang Juli bereits sein Series-B-Funding in Höhe von 40 Mill. Euro abgeschlossen. Hauptgeldgeber war hier die vom US-Finanzdienstleister Fidelity gestützte VC-Firma Eight Roads Ventures. Die Essener Cusp Capital, die 2021 von ehemaligen Tengelmann-Ventures-Investoren gegründet wurde, war auch wieder mit dabei. Im Juni erhielt zudem der Hamburger Handwerker-Software-Anbieter Plancraft 12 Mill. Euro – das Geld kam vom schwedischen Start-up-Investor Creandum, der in der Vergangenheit auch schon Wetten auf Klarna, Spotify und Taxfix abgeschlossen hat. Die 2019 gegründete Tooltime aus Berlin hat zuletzt im Juni vergangenen Jahres 30 Mill. Euro eingesammelt.

Nutzeranteil wächst

Für Stephan Blank kommt das derzeit rege Interesse von Gründern und Investoren am deutschen Handwerk nicht überraschend. „Wir beobachten das schon eine Weile und engagieren uns auch dafür“, sagt der Geschäftsleiter vom Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk, das Handwerksbetriebe bei der Digitalisierung unterstützt und das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Über diverse Veranstaltungen und Initiativen wie „Make Innovation Handwerk“ arbeite man bei dem Netzwerk seit 2016 intensiv daran, Start-ups mit Handwerksbetrieben zusammenzubringen und in dem Bereich ein neues Ökosystem entstehen zu lassen.

Aus Sicht von Blank sei sich die Branche der Relevanz des Themas Digitalisierung „absolut bewusst“. Dies habe zuletzt eine Bitkom-Umfrage aus dem Jahr 2022 gezeigt, in der mehr als die Hälfte aller 500 befragten Handwerksunternehmen der Aussage zugestimmt hatten, dass die Digitalisierung die Existenz des eigenen Betriebs sichere. Zwei Drittel nutzten denn auch schon zu dem Zeitpunkt digitale Technologien – ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu vorherigen Befragungen.

Die Studienlage zeichnet hier allerdings auf den ersten Blick ein uneinheitliches Bild. Denn im selben Jahr wie der Digitalverband hatten auch die Marktforscher vom IFH Köln deutsche Handwerksfirmen über den Stellenwert der Digitalisierung in ihren Betrieben befragt. Dem Thema werde „eine eher niedrige Priorität zugeschrieben“, lautete das dortige Fazit. Das gelte vor allem für kleinere Betriebe.

Von denen gibt es im Handwerk aber eben viele. Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kommt Deutschland aktuell auf rund eine Million Handwerksfirmen, die durchschnittlich knapp sechs Mitarbeitende beschäftigen. „In solch kleinbetrieblich strukturierten Unternehmen gibt es eben oft keinen Chief Digital Officer und auch keine F&E-Abteilung“, sagt Blank. Es gebe zwar Förderinitiativen wie das Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk oder Digitalisierungsberatende in den Handwerkskammern und -verbänden, die bei konkreten Fragestellungen unterstützen und Digitalisierungsmaßnahmen in den Unternehmen punktuell begleiten können. „Die Digitalisierung eines Unternehmens ist aber keine einmalige Angelegenheit, sondern vielmehr ein Prozess, der kontinuierlich und systematisch angegangen und begleite werden sollte. So wie es in größeren Konzernen oft der Fall ist“, sagt Blank.

„Wir brauchen keine SAP-Lösungen“

Es sind aber nicht nur die fehlenden Ressourcen, die der digitalen Transformation des Handwerks oft im Wege stehen. Hinzu kommt auch, dass die Branche lange Zeit schlicht nicht Hauptzielgruppe großer Softwareunternehmen war, wodurch viele Firmen bisherige digitale Anwendungen laut Umfragen oft noch als „überdimensioniert“ für ihren Bedarf empfinden. „Wir brauchen im Handwerksbetrieb keine SAP-Lösungen“, sagt Blank.

Er glaubt dennoch, dass Software-Start-ups im Handwerk gutes Geld verdienen können. Voraussetzung sei, dass sich die Tools ohne großen Vorkenntnisse umsetzen lassen. „Plug and Play“ lautet die Devise, so Blank. „Am Ende des Tages müssen es Angebote sein, die Handwerker schnell nutzen können und bei denen sofort ein echter Mehrwert erkennbar ist.“

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.