Automobilindustrie

Stau an der Ladesäule

2021 wachsen Angebot und Nachfrage batterieelektrischer Autos rasant. Verbrenner und Hybride drohen schneller zu Auslaufmodellen zu werden.

Stau an der Ladesäule

Als Volkswagen sich nach dem Dieselskandal vor fünf Jahren aufmachte, ihre Fahrzeugflotte zu elektrifizieren, war das noch ein defensiver Schritt und E-Auto-Pionier Tesla ein defizitärer Nischenanbieter. Mittlerweile ist Tesla der wertvollste Autobauer der Welt und neben VW hat auch fast jeder andere Autobauer längst eine milliardenschwere Elektrifizierungsstrategie aus der Garage gerollt. Die Zahl der Tesla-Herausforderer wächst 2021 rasanter denn je. Im Wochentakt zerren die Marken neue E-Modelle an die Öffentlichkeit. Einige sind bereits auf dem Markt und deuten das Potenzial an. In den USA büßte Tesla im Februar laut Morgan Stanley 12 Prozentpunkte Elektro-Marktanteil ein – trotz Wachstums. Vor allem Fords Elektro-Crossover Mustang Mach-E stach heraus, der für mehr als ein Drittel der Nicht-Tesla-Neuzulassungen stand. Ford, die ihre Mach-E-Produktion in Mexiko gerade erst hochfährt, profitiert vom umfangreichen Schnellladenetz „Electrify America“, das Kooperationspartner VW als Auflage nach dem Dieselskandal hochgezogen hat. Dieses dürfte auch Volkswagen helfen, wenn die Wolfsburger den US-Vertrieb des elektrischen SUV ID.4 starten.

In Deutschland war VW bereits im vergangenen Monat der absatzstärkste E-Autobauer – obwohl die Produktion des ID.4 erst hochläuft. Die Analysten der Investmentbank UBS gehen für 2022 bereits davon aus, dass VW global beim E-Auto-Absatz zur Nummer 1 wird. Tatsächlich verfolgt Volkswagen die Elektrifizierung konsequenter als fast alle Wettbewerber. So sind vom ID.4 mit Skoda Enyaq IV und Audi Q4 Etron bereits zwei Schwestermodelle vorgestellt worden. Auch von den anderen Konzernmarken Seat, deren Tochter Cupra, und natürlich Porsche stehen batterieelektrische Modelle (BEVs) in den Startlöchern.

Das größte Defizit des Dax-Konzerns ist der Rückstand in der Software. In Wolfsburg hofft man darauf, möglichst schnell eine hohe Zahl der drahtlos aktualisierbaren E-Fahrzeuge auf den Straßen zu haben, um daraus zu lernen und den Rückstand wettzumachen. Auch die anderen deutschen, französischen, amerikanischen, japanischen und koreanischen Traditionshersteller wollen sich 2021 mit frischen E-Modellen in den Stau an der Ladesäule einreihen. Hinzu kommen viele Newcomer – primär aus China. Limitierender Faktor für das Wachstum der E-Autos ist derzeit die Produktionskapazität. Die Halbleiter- und Batterieversorgung in ausreichender Stückzahl ist derzeit noch herausfordernd. Zahlreiche Hersteller haben ihre Produkteinführungen verschieben müssen. Ford zahlte Mach-E-Vorbestellern teils 1000 Dollar und Tankguthaben, um sich für die Wartezeit zu entschuldigen.

Um die strengeren Emissionsziele der EU-Kommission trotz weiterhin niedriger E-Auto-Anteile zu erfüllen, setzen gerade die deutschen Hersteller stark auf Plug-in-Hybrid-Antriebe (PHEV). Einige Experten halten diese allerdings für eine Brückentechnologie mit kurzer Lebensdauer. Zwar haben die neuesten PHEVs dank größerer Batterien mittlerweile für Alltagsfahrten ausreichende Reichweite. Die Nachteile bleiben jedoch mannigfaltig: Die größere Batterie kostet Ladevolumen im Kofferraum, die Doppelmotorisierung treibt den Kaufpreis und später den Wartungsbedarf.

Entsprechend schwenkt der Fokus der Hersteller zunehmend auf BEVs. In die Hände spielen könnte ihnen, dass die Sorge über die verglichen mit Verbrennern geringeren Reichweiten der Stromer nach einem Jahr pandemiebedingter Einschränkungen im Bewegungsradius an Bedeutung verlieren. Zudem haben die Reichweiten, die mit einer Ladung erzielbar sind, nach WLTP die psychologisch wichtige 500-Kilometer-Marke überschritten. Auch die Ängste um den Restwert der E-Autos vernachlässigen die prognostizierte Marktdynamik. Steigt die Absatzzahl neuer BEVs wie erwartet auf Jahre an, wächst auch im Gebrauchtwagenmarkt die Nachfrage. Da die heute gekauften E-Autos erst mit Jahren Verzögerung im Gebraucht-Sortiment landen, dürfte es lange ein Unterangebot geben. Auf der Verbrennerseite droht derweil die umgekehrte Entwicklung: Das Angebot an Gebrauchten schrumpft langsamer als die Nachfrage. Zudem werden E-Autos heute mit tausenden Euros subventioniert. Ein Teil des Wertverlusts wird damit schon beim Kauf kompensiert. Falls die noch zu bestehende Herausforderung des rasanten Ausbaus der Ladeinfrastruktur gemeistert wird, gehen die Käufer eines Verbrenners heute das größere Restwertrisiko ein. Ohne politischen Klimaumschwung droht ein rapider Wertverfall.