LEITARTIKEL

Stau erwünscht

Netzneutralität war wichtig für das Netflix von vor zehn Jahren." Firmengründer und CEO Reed Hastings macht sich offenkundig keine Sorgen darüber, dass gerade die Netzneutralität von der US-Kommunikationsaufsicht FCC aufgekündigt worden ist. Die...

Stau erwünscht

Netzneutralität war wichtig für das Netflix von vor zehn Jahren.” Firmengründer und CEO Reed Hastings macht sich offenkundig keine Sorgen darüber, dass gerade die Netzneutralität von der US-Kommunikationsaufsicht FCC aufgekündigt worden ist. Die Garantie für Inhalteanbieter, einen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet zu erhalten, ist damit zumindest in den USA Vergangenheit. Noch vor wenigen Jahren war Hastings einer der größten Mahner, dass dies katastrophale Folgen für den freien Wettbewerb im Netz haben würde. Heute leitet er selbst eines der Schwergewichte, vor denen er als Start-up damals noch Angst hatte.Die Hoffnung der FCC ist nach Angaben des Behördenchefs Ajit Pai, dass die Abschaffung der Netzneutralität die Investitionsfreude der Netzbetreiber anheizen wird. Damit folgt Pai, der einst für Verizon tätig war, der Argumentation der Telekomriesen. Tatsächlich ist nicht jedes Argument von der Hand zu weisen. So lässt sich leicht ausmalen, dass es im Internet der Dinge, bei Industrie-4.0-Anwendungen oder auch beim autonomen Fahren Anwendungsfälle geben kann, die eine stabile, robuste und auch schnelle Internetanbindung erfordern. Wenn ein Einbruch der Übertragungsgeschwindigkeit dazu führt, dass ein Videostreamingdienst nur noch in Standarddefinition statt in Ultra-HD übertragen wird, ist das allenfalls ärgerlich. Wenn die Netzanbindung von Geräten zur Fernüberwachung von Herzpatienten plötzlich verloren geht, kann das im schlimmsten Fall Menschenleben kosten. So gesehen kann es in Zukunft durchaus mehr Gründe geben, warum einzelne Dienstleistungen eine bevorzugte Übertragungsrate gewährt bekommen.Der Entscheidung, welche Dienste einer solchen Bevorzugung bedürfen, gehen Pai und die FCC indes aus dem Weg. Sie überlassen die Einstufung den Netzbetreibern, indem sie diese aus ihrem Regulierungsbereich herausnehmen. Statt als Versorger sind Konzerne wie AT&T, Verizon, Comcast und ihre Wettbewerber künftig nur noch als Informationsdienstleister eingestuft. Damit macht es sich Pai zu leicht und schafft gleich eine Reihe von Problemen, die sich bereits abzuzeichnen beginnen, aber erst mittelfristig vollumfänglich in ihrem Ausmaß erfasst werden dürften.So investieren die US-Telekomunternehmen derzeit Unsummen in den Ausbau ihres Inhalteangebots. AT&T hat etwa eine Übernahme von Time Warner für einen dreistelligen Milliardenbetrag trotz Gegenwinds aus dem Justizministerium immer noch auf der Agenda. Verizon hat mit Yahoo und AOL zwei alte Onlinegrößen unter dem eigenen Dach zusammengeführt. Nun wird die neue Tochter “Oath” mit Premiuminhalten gefüttert. Erst vergangene Woche hat Verizon dem Vernehmen nach gut 2,5 Mrd. Dollar für die Streaming-Übertragungsrechte der National Football League in den kommenden fünf Jahren auf den Tisch gelegt. Das sind allesamt Investitionen, die auf der einen Seite reüssieren sollen und die auf der anderen Seite in knallhartem Wettbewerb mit den Medienangeboten Netzanbieter-unabhängiger Wettbewerber stehen.Damit steigt der Anreiz zur unterschiedlichen Behandlung des Online-Traffics mit jedem investierten Dollar. Eine vergleichbare Situation wäre es, wenn ein privater Autobahneigner zugleich einen Logistiker betreiben und eine schnelle Spur einführen dürfte, die nur wenigen zahlungsbereiten Kunden und dem eigenen Transportdienst zur Verfügung stünde. Da ist plötzlich jeder Stau erwünscht – jenseits der eigenen Spur. Die diesbezüglich zu erwartende Wettbewerbsverzerrung ist in den USA ungleich größer als hierzulande, da dort in vielen Regionen bei Breitbanddiensten ein Duopol oder gar Monopol herrscht. Wenn es einem deutschen Kunden nicht passt, welche Dienste – hypothetisch – von der Telekom gedrosselt werden, kann er den Anbieter wechseln.Versucht wird die Aushöhlung der Netzneutralität aus Sicht der Bundesnetzagentur dennoch. So bietet die Telekom eine kostenlose Stream-on-Option, bei der das Streaming bestimmter Angebote über das mobile Netz nicht auf monatliche Datenvolumina angerechnet wird. Die Aufsicht hat Teile des Angebots nun untersagt – etwa weil Stream-on nur im Inland gelte. Die FCC hat in den USA derweil nicht nur sich Regulierungsoptionen genommen. Selbst die Bundesstaaten dürfen keine Regeln zur Netzneutralität erlassen. Dass sich dies wieder ändert, scheint sicher. Zahlreiche Staaten haben ihren Widerstand angekündigt. Es ist fast wie im Stau: Die Debatte geht weiter, kommt aber nicht voran.——–Von Sebastian SchmidDie Kommunikationsaufsicht FCC hat die Netzneutralität in den USA aufgehoben. Die Diskussion um das Thema bleibt aber auf dem Tisch.——-