Stille Tage in Heathrow
Eigentlich müsste das Management des Londoner Flughafens Heathrow froh darüber sein, es wieder unter die Top 10 der europäischen Airports geschafft zu haben. Im Juli rangierte die ehemalige Nummer 1 noch auf Rang 11. Doch Klappern gehört zum Geschäft. Publikum dafür gibt es immer. Denn der Billigflug in den Strandurlaub wird nicht nur in Großbritannien von vielen für ein Grundrecht gehalten: Urlaub, Urlaub über alles! Da spielt es keine Rolle, dass ein Großteil der Welt mit einer nur schwer zu kontrollierenden neuartigen Lungenkrankheit ringt. Rivalen wie Frankfurt oder Amsterdam erholten sich einfach schneller von den Corona-Reisebeschränkungen als der größte Flughafen der britischen Metropole. Kein Wunder, dass sich Heathrow-Chef John Holland-Kaye benachteiligt fühlt.
Die britische Regierung hat seit Ausbruch der Krise in Sachen Reisefreiheit keine glückliche Hand bewiesen. Sie ließ Flugzeuge aus Wuhan noch landen, als schon klar war, dass Covid-19 in der chinesischen Millionenstadt grassierte. Anfangs war man zudem weder willens noch in der Lage, die Körpertemperatur von Einreisenden zu messen. Schließlich zeigten sich die Symptome einer Infektion ja erst nach Tagen, wurde die Untätigkeit fachmännisch gerechtfertigt. Zudem könnten Erkrankte die Temperatur durch Einnahme von Fiebersenkern nach unten drücken. Auf den übertriebenen Liberalismus folgten drakonische Reisebeschränkungen und ein Ampelsystem, das schneller von Grün auf Orange umschaltete, als Reisenden lieb sein konnte. Wer im Juni nach Portugal flog, musste plötzlich wieder zurück nach Großbritannien, um zehn Tage Zwangsquarantäne zu vermeiden. Zudem verteuerten mehrere PCR-Tests jeden Ausflug über die Landesgrenzen hinaus. Bis heute hat Verkehrsminister Grant Shapps kein Konzept dafür vorgelegt, wie es weitergehen soll. Kein Wunder, dass die Touristikbranche Sturm läuft. Angeblich ist eine Vereinfachung der Vorschriften unter Berücksichtigung der hohen Impfquote in Arbeit.
Holland-Kaye kann nur hoffen, dass noch mehr Länder Erfolg mit ihren Impfkampagnen haben. Denn für eine Erholung reicht es nicht, wenn nur Großbritannien sein Grenzregime lockert. Heathrow wurde von der Aussetzung des Transatlantik-Flugverkehrs durch die USA hart getroffen. Der Flughafenchef muss sich fragen, ob ein Zurück zur Prä-Corona-Normalität überhaupt möglich ist. Der Rückzug ins jeweilige nationale Schneckenhaus lässt sich nicht so schnell revidieren.
(Börsen-Zeitung,