Im Blickfeld:Sparkassen

Streitpunkt Filialabbau

Werden Sparkassen ihrem öffentlichen Auftrag gerecht? Wie viele Filialen und wo sind nötig, um in Zeiten von Mobile und Online Banking die Grundversorgung der Bevölkerung mit Finanzdienstleistungen zu gewährleisten? Sparkassen, Verbraucherschützer und Politiker ringen intensiv um Antworten.

Streitpunkt Filialabbau

Streitpunkt Filialabbau

Sparkassen, Verbraucherschützer und Politiker haben unterschiedliche Auffassungen davon, wann die Grundversorgung mit Finanzdienstleistungen gewährleistet ist

Von Wolf Brandes und Tobias Fischer, Frankfurt

Wie viele Sparkassen-Filialen sind nötig, um dem öffentlichen Auftrag gerecht zu werden? Diese Frage steht im Zentrum einer Entscheidung der in Potsdam ansässigen Mittelbrandenburgischen Sparkasse, in 31 ihrer 141 Filialen den Personalbetrieb einzustellen und davon 22 Standorte in Selbstbedienungsfilialen mit Geldautomaten umzuwandeln, die sich zum Politikum ausgewachsen hat. Der Ankündigung der größten Sparkasse Ostdeutschlands Ende April, wie zuvor auch der Sparkasse Uckermark, am 1. Oktober fünf ihrer Filialen aufzugeben, folgte ein Sturm der Entrüstung von Politikern und Verbraucherschützern.

Brandenburgische Politiker sehen die Grundversorgung mit Finanzdienstleistungen gefährdet, zeigen vereinzelt aber auch Verständnis für die Kürzungspläne. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) fühlte sich gar bemüßigt, einen Brandbrief an den ostdeutschen Sparkassenverband zu schicken, mit der Bitte, die Schließungen nochmals zu prüfen. Und die Verbraucherschutzzentralen Bayern, Brandenburg und Hessen forderten die gesetzliche Verankerung einer Mindestanzahl von Filialen sowie die Verteilung von mitarbeiterbesetzten Zweigstellen und Geldautomaten.

Betreiber jeder dritten Filiale

Die Zahl der Niederlassungen von Sparkassen und Banken schrumpft seit Jahren und Jahrzehnten dramatisch. Gab es vor zehn Jahren insgesamt noch gut 36.000 Niederlassungen von Finanzinstituten in Deutschland, davon etwa jede dritte von einer Sparkasse, so waren es Ende vergangenen Jahres nur noch knapp 20.500, wobei der Anteil der vom Sparkassensektor betriebenen Filialen in etwa gleich geblieben ist. So zählte die Deutsche Bundesbank bei den Sparkassen 7.326 Zweigstellen und bei den öffentlichen Bausparkassen 443 und bei den Landesbanken 144.

Schließungen von Filialen sind also nichts Ungewöhnliches und von jeher zumindest auf lokaler Ebene umstritten. Sie bedürfen eines Beschlusses des Verwaltungsrats, dem in öffentlich-rechtlichen Instituten stets auch Lokalpolitiker wie Landräte und Bürgermeister angehören. Erforderlich ist laut brandenburgischem Sparkassengesetz die Stimmenmehrheit der anwesenden Verwaltungsratsmitglieder. Dass in Brandenburg das Thema landespolitische Bedeutung erlangt hat, mag mancher mit frühem Wahlkampfgeplänkel angesichts der Landtagswahl im September 2024 zu erklären versuchen. Es mag aber auch der echten Sorge geschuldet sein, dass angesichts des drastischen Filialabbaus in der Vergangenheit nun der gefühlte Punkt erreicht ist, an dem eine vernünftige Versorgung mit Finanzdienstleistungen gerade in den ländlichen Regionen nicht mehr gewährleistet ist und sich gerade ältere und wenig digitalaffine Bevölkerungsgruppen weiter abgehängt zu fühlen drohen.

Sparkassengesetz bleibt vage

Der öffentliche Auftrag der Sparkassen ist in den jeweiligen Sparkassengesetzen der Bundesländer geregelt. Das brandenburgische Sparkassengesetz ist dahingehend vage: Sparkassen stellen in ihrem Geschäftsgebiet die Versorgung mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen sicher, heißt es da etwa. Und weiter: “Sie stärken den Wettbewerb im Kreditgewerbe. Sie erbringen ihre Leistungen für die Bevölkerung, die Wirtschaft, insbesondere den Mittelstand, und die öffentliche Hand unter Berücksichtigung der Markterfordernisse. Sie fördern das Sparen und die allgemeine Vermögensbildung.” Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes 1996 und der Aktualisierung 2018 hat sich freilich das Kundenverhalten im Zuge zunehmend verbreiteter digitaler Angebote, gerade in Coronazeiten, verändert, was eine ähnlich hohe Filialdichte wie seinerzeit kaum erforderlich macht. Die Antwort auf die Frage, wie viele Filialen vonnöten sind, um den öffentlichen Auftrag zu erfüllen, wird zudem von Region zu Region anders ausfallen, je nach wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen und Bevölkerungsdichte.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) sieht den öffentlichen Auftrag der Sparkassen nach wie vor als erfüllt an. Im Kern zähle dazu die flächendeckende Versorgung mit und der Zugang aller gesellschaftlichen Gruppen zu kreditwirtschaftlichen Dienstleistungen inklusive der Vermögensbildung. Ein Sprecher macht darauf aufmerksam, dass Sparkassen hierzulande über das dichteste Filialnetz verfügen, das mehr Geschäftsstellen als Aldi und Lidl in Deutschland zusammen umfasse, und über die meisten Geldautomaten – rund 22.000. DSGV-Präsident Helmut Schleweis wies kürzlich in einem Gespräch unter anderem mit der Börsen-Zeitung “starre und kleinteilige Vorgaben in den Sparkassengesetzen” zurück, wie sie manche Verbraucherschützer vorschlügen. Das sei “kontraproduktiv”.

Um auch nach Schließungen Präsenz zu zeigen, verweist der DSGV auf verschiedene Vorgehensweisen der einzelnen Institute: Standortkooperationen mit Volks- und Raiffeisenbanken etwa oder auch anderen Partnern; Sparkassenbusse, die in ländlichen Gebieten zum Einsatz kommen, und das in manchen Regionen seit 70 Jahren; Bargeldservice, der insbesondere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, mit Geld versorgt.

Die Mittelbrandenburgische Sparkasse hält sich zugute, dem im Sparkassengesetz verfassten Versorgungsauftrag ebenso zu genügen wie dem dort beschriebenen Grundsatz, dass Sparkassen im Wettbewerb stehende Wirtschaftsunternehmen sind und der Geschäftsbetrieb wirtschaftlichen Grundsätzen folgen muss. “Diesem Spannungsverhältnis werden Sparkassen seit 250 Jahren gerecht”, sagt eine Sprecherin. Angebote würden allen Kundengruppen digital, hybrid und vor Ort bereitgestellt. “Die Versorgung mit Finanzdienstleistungen ist heute keine alleinige Frage mehr der Präsenz vor Ort, sondern wird ergänzt durch Kundenservicecenter und digitale Beratungscenter.”

Filialaufgabe mangels Personal

Als Hauptfaktor bei der Entscheidung, Standorte aufzugeben, bei denen es sich überwiegend um mit zwei bis drei Personen besetzte Geschäftsstellen handele, bezeichnet die Sparkasse den Fachkräftemangel. “Die Absicherung der personellen Besetzung stellt zunehmend eine quantitative und qualitative Herausforderung dar. Sämtliche rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 31 Geschäftsstellen werden dringend weiterhin im Unternehmen benötigt.” Mit der Konzentration auf größere Standorte komme das Institut auf das notwendige Mengengerüst, könne Vertretungen besser organisieren und diene als Anlaufpunkt für Beratung und Service.

Das Filialsterben und die Frage, welche Alternativmodelle Filialen ersetzen könnten, waren auch Gegenstand der internationalen Konferenz zu Finanzdienstleistungen des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF) Ende Juni in Hamburg. Als Verfechter eines reduzierten Netzes sprach René Schinke, Vertriebsvorstand der VR-Bank Memmingen. Sein Haus hat in den vergangenen acht Jahren von 20 Standorten fünf geschlossen, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Die persönliche Kontaktfrequenz habe stetig abgenommen, so dass eine Reduzierung die logische Konsequenz gewesen sei. Schon früher habe es kaum eine Rechtfertigung für so viele Filialen gegeben, „es wurde halt aufgrund der guten Ertragslage nicht gerechnet“. „Wenn Kunden seltener die Filialen aufsuchen, macht es betriebswirtschaftlich keinen Sinn, qualifiziertes Personal ohne ausreichende Beschäftigung vorrätig zu halten. Qualifizierte Mitarbeiter haben Anspruch auf Ausübung ihres Berufes“, so Schinke. Filialen sind für ihn dennoch Bestandteil der Bank-DNA, da weiterhin 99% des Geschäfts von Mensch zu Mensch gemacht würden. „Wenn wir versuchten, N26 zu kopieren, würden wir gnadenlos scheitern.“

Das betonte auch Metta Schade, Regionaldirektorin der Hamburger Sparkasse: „Für einen Teil der Kunden bleibt der persönliche Kontakt vor Ort wichtig. Gerade bei Themen wie Immobilienkauf oder Altersvorsorge will man einander in die Augen sehen“, sagte sie. Ihr Haus werde auch in Zukunft rund 100 Filialen haben, allerdings mit anderen Nutzungen als früher. „Unsere Filialen wurden zu Treffpunkten für den Stadtteil umgebaut.“ Gewerbetreibende aus der Umgebung hätten die Möglichkeit, sich auf Ausstellungsflächen kostenlos zu präsentieren. „Verkauft Ihr jetzt auch Fahrräder, werden die Filialteams gefragt, wenn E-Bikes im Schaufenster stehen“, so Schade. Ein weiterer Anziehungspunkt sei das Veranstaltungsangebot. Das reiche von Online-Banking bis hin zu Fotokursen und Konzerten.

Die Verbraucherzentralen Brandenburg, Bayern und Hessen hatten Ende Juni mit der Forderung nach mehr Verbraucherschutz in den Sparkassengesetzen für Aufsehen gesorgt. Sie stützen sich auf ein Gutachten des Juristen Janbernd Oebbecke. Er kommt zu dem Schluss, dass die soziale Komponente des Versorgungsauftrags die Sparkassen verpflichte, „auch für die Teile der Bevölkerung, die mit der rein elektronischen Leistungserbringung nicht oder nicht mehr zurechtkommen, den Zugang zu ihren Leistungen zu gewährleisten“. Bestehende Vorgaben an das Filialnetz wie „flächendeckend“ seien so vage, dass eine Rechtsaufsichtsbehörde sie kaum durchsetzen könne. Als Kriterien denkbar seien auch in der Sparkassenwelt Service- oder Flächendeckungsvorgaben, wie sie etwa für die Post bestehen und dort wirtschaftlich kompensiert würden. Die Post-Universaldienstleistungsverordnung regelt beispielsweise, dass es in Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern mindestens eine Filiale geben muss und dass in Wohngebieten der Weg zum Briefkasten 1.000 Meter nicht überschreiten darf.

Maßgeschneiderte Netze

Aus Sicht der Verbraucherschützer würden dagegen Sparkassen immer mehr Filialen und SB-Stützpunkte schließen und den Menschen damit den Zugang zu Leistungen erschweren, insbesondere zur Bargeldversorgung im ländlichen Raum. Auf eine konkrete Filialzahl will sich Christian Rumpke, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Brandenburg, nicht festlegen. „Die Anzahl ist keine bundeseinheitliche Größe. Vielmehr müssen Filial- und Automatennetze der Sparkassen zur Erfüllung ihres gemeinwohlorientierten Auftrages in den Ländern maßgeschneidert werden“, sagte er. Eine Mindestanzahl der Sparkassen hänge etwa von Siedlungsstrukturen und von Kooperationsmodellen vor Ort etwa mit Supermärkten oder anderen Banken ab.

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