Abschied von Net Zero
Klimawende
Abschied von Net Zero
Von Andreas Hippin
Rishi Sunak gibt zu, dass die Klimaziele seiner Vorgänger unerreichbar sind. Der Abschied von Net Zero ist nur eine Frage der Zeit.
Der britische Premierminister Rishi Sunak hat nicht das Format einer Margaret Thatcher. Doch hat er in den vergangenen Tagen gezeigt, was eine konservative Regierung so alles leisten könnte. Nachdem die Tories bereits seit 2015 allein regieren, seit 2019 mit überwältigender Mehrheit im Unterhaus, fragt man sich, warum sie es nicht einfach getan haben. Zudem könnte man Sunaks Ankündigungen als Beginn des Wahlkampfs begreifen. Schließlich müssen spätestens im Januar 2025 Unterhauswahlen abgehalten werden. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Der britische Beitrag zu den weltweiten Treibhausemissionen beläuft sich auf rund 1 Prozent. Da ist die Frage durchaus berechtigt, warum man den Bürgern immer größere finanzielle Belastungen auferlegen sollte, um ein willkürlich festgelegtes Ziel zu erreichen: Klimaneutralität bis 2050.
Eine von Sunaks konservativen Amtsvorgängerinnen, Theresa May, verschaffte diesem Ziel Gesetzeskraft. Eine breite Diskussion, in der auch die Kosten einer solchen Transformation thematisiert worden wären, hat es nie gegeben. Boris Johnson gefiel sich auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow als Weltenretter. Er zog das Verbot des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotor um fünf Jahre vor – nichts weiter als ein Gimmick, um behaupten zu können, man habe im Vergleich zur EU in Sachen Klima die Nase vorn. Es zeugt von Courage, wenn sich Sunak nun gegen die großbürgerlichen Ideale eines Teils der Partei stellt, um daran zu erinnern, dass dem Großteil der Bevölkerung die rasant steigenden Lebenshaltungskosten zu schaffen machen. Und es ist das Fazit aus dem Sieg bei der Nachwahl für den Unterhaussitz von Johnson. Die Wahl galt im Grunde als verloren, bis Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan die von Johnson eingeführte Ultraniedrigemissionszone auch auf die Randbezirke der britischen Metropole ausweiten wollte. Der Ärger darüber, künftig eine tägliche Sondersteuer von 12,50 Pfund bezahlen zu müssen, trieb viele Fahrer älterer Fahrzeuge in die Arme der Tories.
Anerkennung der Faktenlage
Sunak forderte mehr Ehrlichkeit in der Klimadebatte und vertagte das Verbrenner-Verkaufsverbot auf 2035, womit sich London wieder auf Augenhöhe mit Brüssel befindet. Weder existiert in Großbritannien eine tragfähige landesweite Ladeinfrastruktur für Batterieautos, noch ist mit einem schnellen Aufbau einer ebensolchen zu rechnen. Es ist auch nicht klar, wo die Elektrizität herkommen soll, die benötigt würde, sollte das ganze Land auf Elektrofahrzeuge umsteigen. Der überhastete Rückbau von Kohlekraftwerken und die Stilllegung von Atomkraftwerken haben dazu geführt, dass an windstillen Tagen oft Strom aus dem Ausland zugekauft werden muss. Sunaks Schritt ist also eher die Anerkennung der Faktenlage als ein revolutionärer Akt. Die Alternative wäre, die nötige Ladeinfrastruktur und die erforderlichen Stromerzeugungskapazitäten auf Steuerzahlerkosten aufzubauen. Eine solche Form der Staatswirtschaft wäre aber mit den ordnungspolitischen Vorstellungen der Tories nicht unter einen Hut zu bringen.
Kosten höher als Einsparungen
Auch die Verschiebung des Verbots des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen auf 2035 ist der Einsicht geschuldet, dass die bisherigen Ziele unerreichbar sind. Wärmepumpen sind vielleicht für bestens isolierte Neubauten mit Fußbodenheizung eine Alternative. Davon gibt es im Vereinigten Königreich aber nicht viele. In abgelegenen Regionen ist die Ölheizung die einzige Möglichkeit, sich im Winter warm zu halten. Die vorgesehenen Minimalstandards für die Wärmeisolierung von Mietwohnungen wurden aufgegeben. Man darf davon ausgehen, dass Vermieter ihren Einfluss geltend gemacht haben. Denn die Kosten der erforderlichen Maßnahmen liegen weit über dem Wert der auf diese Weise erzielbaren Einsparungen bei den Energiekosten.
Es war ein Jahrhundert-Shitstorm, der daraufhin über Sunak hereinbrach. Rundfunkmedien, Klimaaktivisten, Umweltfreunde aus der eigenen Partei und Vertreter diverser Verbände wie der Autoindustrie machten ihrer Empörung Luft. Dabei hatte
er das Ziel, bis 2050 die Klimaneutralität zu er-
reichen, weiter hochgehalten. Man darf gespannt sein, wann es aufgegeben wird. Erreichbar ist es ohnehin nicht.