Tokio

Taiwan als Lackmustest

Die japanische Politik steht in dieser Woche ganz im Zeichen des Gipfeltreffens von Premier Yoshihide Suga und US-Präsident Joe Biden. Als erster ausländischer Staatschef seit dem Machtwechsel darf Suga am Freitag das Weiße Haus besuchen. Für die...

Taiwan als Lackmustest

Die japanische Politik steht in dieser Woche ganz im Zeichen des Gipfeltreffens von Premier Yoshihide Suga und US-Präsident Joe Biden. Als erster ausländischer Staatschef seit dem Machtwechsel darf Suga am Freitag das Weiße Haus besuchen. Für die Begegnung hat sich seine Entourage aus Beamten und Politikern gut gewappnet. Alle Reiseteilnehmer erhielten rechtzeitig zwei Dosen des Biontech-Impfstoffes, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren – der neue US-Präsident und seine Mitarbeiter sind schon länger gegen Covid-19 geimpft.

Auch inhaltlich ist der amerikanisch-japanische Gipfel gut vorbereitet. Der US-Senat wird vor dem Treffen eine überparteiliche Resolution verabschieden, um die Bedeutung der Allianz zwischen Japan und den Vereinigten Staaten zu unterstreichen. Die einstigen Kriegsgegner sind seit 61 Jahren Sicherheitspartner, ebenso lange dient die Insel Okinawa den Streitkräften der USA als „Flugzeugträger“. Gerüchten zufolge will Biden auch den neuen US-Botschafter für Japan bekannt geben. Der Posten in Tokio ist seit fast zwei Jahren vakant.

Zu den absehbaren Ergebnissen wird ein Abkommen über die Versorgung mit kritischen Halbleiterkomponenten gehören, nachdem ein globaler Chipmangel vor allem die Autoindustrie gebremst hat. In der Klimapolitik wollen beide Länder ebenfalls enger zusammenarbeiten. Japan möchte die USA unterstützen, indem es stärker als bisher auf erneuerbare Energien setzt und keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr finanziert. Gleichfalls auf der Agenda steht ein Rahmenwerk zur Förderung von hochqualitativer Infrastruktur im indopazifischen Raum. Mit staatlich begünstigten Krediten etwa für 5G-Netze und klimafreundliche Stromproduktion wollen die USA und Japan vor allem asiatischen Schwellenländern eine Alternative zu Chinas Belt-and-Road-Initiative anbieten.

Die japanische Seite hofft darauf, bei dem Gipfel jenes Vertrauen wiederherzustellen, das unter den aggressiven Taktiken von Bidens Vorgänger gelitten hat. Donald Trump hatte Japan wegen der vielen Autoimporte unter Druck gesetzt und einen bilateralen Handelspakt durchgesetzt. Zwar rechnet Suga nicht mehr damit, dass die USA zum von Trump aufgegebenen TPP-Handelsvertrag der Pazifikanrainer zurückkehren. Aber der neue US-Präsident wird sicher nicht mehr mit Strafzöllen gegen seinen engsten Verbündeten in Asien drohen. Einen Großteil des Schadens konnte Biden schon dadurch reparieren, dass er den Japaner als ersten Staatschef persönlich trifft.

Der eigentliche Knackpunkt der Gespräche liegt im künftigen Umgang der Allianz mit China. Biden hat bislang die harte Linie seines Vorgängers gegen das Reich der Mitte fortgesetzt. Aber statt auf den „maximalen Druck“ von Trump setzt er auch auf verstärkten Wettbewerb. Zugleich passt die ursprünglich japanische Idee eines „freien und offenen Indopazifik“ in Bidens außenpolitisches Konzept, dem Machtanspruch von China gemeinsam mit Partnern entgegenzutreten. Doch der auf Abwehr und Wettbewerb mit China ausgerichtete Politikansatz von Biden setzt Japan auch unter ungewohnten Handlungsdruck.

„Die tendenziell weniger konfrontative Haltung von Biden gegenüber China ist zunächst kein Vorteil für Japan“, meint der Historiker Torsten Weber vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio. Das Dilemma zeigt sich im Wunsch der USA, die Unterstützung von Taiwan in die Abschlusserklärung des Gipfels aufzunehmen. Für Japan würde dieser Lackmustest seiner Loyalität zu den Vereinigten Staaten eine politische Kehrtwende bedeuten. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1972 mit Peking hat Tokio das Ein-China-Prinzip beachtet. Außerdem könnte ein solches Statement zur Folge haben, dass Japan die USA militärisch bei einem Konflikt um Taiwan unterstützen müsste. Womöglich erlaubt die pazifistische Verfassung dies jedoch nicht. Deswegen wissen manche Politiker in Tokio nicht, ob sie sich über Bidens Wahl wirklich freuen sollen. Denn aus japanischer Sicht waren Präsidenten aus den Reihen der Demokraten weniger zuverlässige Japan-Freunde als die Amtsinhaber mit Zugehörigkeit zu den Republikanern – trotz Trump.

              (Börsen-Zeitung,