Tech-Konzerne im Fadenkreuz der Politik
Von Sabrina Keßler, New York
Jahrelang forderten US-Politiker strengere Auflagen, nun machen sie Ernst: neue Gesetze sollen die Spielregeln ändern – wenn sie denn kommen. Dass sich Tim Cook machtlos fühlt, kommt selten vor. Ende Januar überkam ihn jedoch ein ungutes Gefühl, das er direkt mit dem texanischen Senator Ted besprechen musste. „Ich habe 40 Minuten mit Tim Cook, dem CEO von Apple, telefoniert“, sagte der Politiker kurz vor der Gesetzesentscheidung, die die Macht von Amerikas Internet-Unternehmen beschränken soll. Cook habe „erhebliche Bedenken“ gegen den Entwurf geäußert, so der Abgeordnete.
Cook ist nicht der Einzige, der sich um die Vormachtstellung seines Unternehmens sorgt. Auch Facebook, Amazon, Alphabet und Microsoft schicken derzeit unzählige Lobbyisten nach Washington, um das Schlimmste abzuwenden. Nach jahrelangem Stillstand haben es Amerikas Politiker nun umso stärker auf die Übermacht der Tech-Giganten abgesehen: Vor allem die Demokraten wollen Big Tech endlich regulieren. Spätestens die Coronakrise, so heißt es, habe die Unternehmen viel zu mächtig werden lassen.
In der Debatte geht es um fünf Gesetzesvorhaben, die das Repräsentantenhaus vergangenen Sommer auf den Weg gebracht hat. Der wohl bedrohlichste Gesetzesvorschlag heißt „Ending Platform Monopolies Act“. Er könnte zur Zerschlagung großer Tech-Firmen führen. Darüber hinaus kursieren Dutzende andere Entwürfe: etwa zur Privatsphäre im Netz, zum Schutz von Kindern oder der Regulierung von Smartphone-Apps. Ein Großteil davon soll jedoch nur für Unternehmen mit einem Börsenwert von mehr als 550 Mrd. Dollar und einer Nutzerzahl von mindestens 50 Millionen gelten.
Die Behörden haben gute Gründe, die Monopolstellung der Tech-Firmen anzugreifen. Schließlich hat sich der Drang zur Konsolidierung in den letzten Jahren massiv beschleunigt. In 75% aller US-Branchen kontrolliert mittlerweile eine kleine Anzahl von Unternehmen einen Großteil der Geschäfte, heißt es in einem offiziellen Report der US-Regierung. Über Google etwa laufen mittlerweile ganze 91% aller Suchanfragen in den USA.
Ökonomen sehen darin schwerwiegende Folgen für die US-Wirtschaft und ihre Verbraucher. Denn wer die Kontrolle über einen Markt erlangt, diktiert dort Preise und Löhne. In Regionen, wo bloß wenige Firmen den Takt angeben, liege das Gehalt der Arbeitnehmer 17% unter dem Durchschnittseinkommen, auch das steht in dem Bericht. Das Weiße Haus schätzt, dass jedem US-Haushalt aufgrund des mangelnden Wettbewerbs jährlich Verluste in Höhe von 5000 Dollar entstehen.
Selbst ehemalige Mitarbeiter lehnen sich inzwischen gegen ihre einstigen Arbeitgeber auf. Nicht nur Frances Haugen, die jahrelang als Produktmanagerin bei Facebook arbeitete und vergangenes Jahr vor den Augen des US-Kongresses eine strengere Handhabe des Online-Riesen forderte. Auch Timnit Gebru, eine Ex-Computeringenieurin von Google, die ihren Job verloren hatte, nachdem sie einen kritischen Bericht zu den Algorithmen des Unternehmens veröffentlicht hatte. „Ich glaube, die Öffentlichkeit wird sich der Heuchelei dieser Firmen, ihrer immensen Macht und dem Schaden, den sie anrichten, immer deutlicher bewusst“, sagt sie vor Kurzem in einem Interview mit der New York Times. „Das ist etwas ganz anderes als noch vor zehn Jahren, als diese Firmen als Helden gefeiert wurden.“
Dass es den Plattform-Unternehmen verstärkt an den Kragen geht, liegt vor allem an ihr: Lina Khan, die neue Chefin der US-Bundesbehörde FTC. Die 32-Jährige gilt als scharfe Kritikerin der Tech-Konzerne und forciert deshalb eine Neuauslegung geltender Wettbewerbsbestimmungen. Seit den Kartellrechtsreformen der Reagan-Ära, das war Mitte der 1980er Jahre, gilt ein Unternehmen erst als monopolistisch, wenn die Dominanz US-Verbrauchern schadet. Bislang war es fast unmöglich, diesen Vorwurf gegen Unternehmen durchzusetzen, die viele ihrer Dienste kostenlos oder zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten.
Die Behörden richten ihren Blick deshalb zunehmend auf Unternehmensseite, auf kleinere Firmen, deren Geschäfte zunehmend von den Konzernen abhängig sind. Die Frage ist nicht mehr, inwiefern die Dominanz von Big Tech den US-Bürgern schadet. Die Frage ist, wie sehr sie amerikanische Firmen benachteiligt, die Waren und Dienstleistungen auf diesen Technologieplattformen verkaufen.
Die Reformierung des Wettbewerbsrechts hat schon jetzt spürbare Konsequenzen. Ende Januar etwa segnete der Justizausschuss des Senats den sogenannten „American Innovation and Choice Online Act“ ab, der Internet-Unternehmen wie Amazon verbieten soll, eigene Produkte und Dienste auf ihren Plattformen zu bevorzugen. Auch der überparteiliche „Open App Markets Act“ hat es erfolgreich durch den Senat geschafft. Das Gesetz soll in Zukunft für mehr Wettbewerb in den App-Stores sorgen und externe Bezahlmöglichkeiten zulassen.
Der große Wurf hingegen, ein regulatorischer Rundumschlag also, wird unterdessen schwierig werden. Denn spätestens ab Sommer, wenn sich die Parteien auf die Kongresswahlen im November vorbereiten, herrscht politischer Stillstand in Washington. Sollten die Republikaner im Herbst dann auch noch die Kontrolle über das Repräsentantenhaus erlangen, ist es höchst unwahrscheinlich, dass die ausstehenden Gesetzesentwürfe abgesegnet werden. Big Tech dürfte so mal wieder davonkommen – vorerst.