Tequila für den EZB-Cocktail
Tequila für den EZB-Cocktail
Von Claus Döring
Schneller und konsequenter als US-Fed und EZB hat die mexikanische Notenbank die Inflation bekämpft. Aus deren Erfolg könnte die EZB lernen.
Nicht wenigen Geldpolitikern und Ökonomen in der Eurozone ist der geldpolitische Cocktail, den die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag gemixt hat, zu hochprozentig. Sie befürchten, dass die nunmehr zehnte Zinserhöhung in Folge auf jetzt 4,5% der in manchen Euro-Ländern taumelnden Konjunktur nicht gut bekommt. Dabei vergessen sie, dass zentrale Aufgabe der EZB nicht der Konjunkturstimulus ist, sondern die Geldwertstabilität. Es war doch allen klar, dass die Entzugserscheinungen der viel zu lange viel zu expansiven Geldpolitik umso härter ausfallen, je später und zögerlicher die Notenbank den Kurswechsel vollzieht. Bei einer Inflationsrate in der Eurozone von 5,3% und Inflationserwartungen der Verbraucher, die für 2024 noch bei 3,4% liegen, kann man bei 4,5% Leitzins erstens noch nicht von einer wirklich restriktiven Geldpolitik sprechen. Denn der Realzins ist weiterhin negativ und die durch Anleihekäufe aufgeblähte EZB-Bilanz wird kaum zurückgefahren. Zweitens könnte die von vielen nun erwartete oder erhoffte Zinspause Zweifel an der Entschlossenheit der EZB nähren, den Kampf gegen die Inflation wirklich bis zum Erreichen des 2-Prozent-Ziels fortzusetzen.
Wie man es schafft, nicht den Daten hinterherzulaufen, sondern durch entschlossenes geldpolitisches Handeln vor die Kurve zu kommen, hätten EZB-Präsidentin Lagarde und ihr Direktorium in Mexiko studieren können. Nachdem dort nach der Pandemie wie in allen Industrieländern die Inflation in die Höhe schoss, zögerte die Banco de Mexico (Banxico) nicht lange und startete einen rasanten Zinserhöhungszyklus – übrigens schon neun Monate vor der ersten Zinserhöhung der Fed. Seit Juni 2021 setzte sie den mexikanischen Leitzins (Overnight Interbank Rate) in 15 zum Teil großen Schritten um 725 Basispunkte von 4% auf 11,25% nach oben. Mexikos Notenbank-Gouverneurin Victoria Rodriguez Ceja zögerte auch nicht, mit den Zinserhöhungen fortzufahren, als Ende September 2022 der Leitzins mit 9,25% erstmals die Inflationsrate überstieg und der Realzins somit positiv wurde. Ein Punkt, den die EZB noch gar nicht erreicht hat.
Der letzte Zinsschritt der Banxico, in deren geldpolitischen Genen nach Auffassung mancher Beobachter mehr Bundesbank steckt als heute in der EZB, datiert vom 30. März 2023. Das heißt: Wer schnell handelt, kann sich auch eher eine Zinspause gönnen. Eine weitere Zinserhöhung ist jedenfalls seither kein Thema in Mexiko, obwohl die Wirtschaft brummt und die Notenbank ihre Wachstumsprognose gerade erst auf 3,0% anhob. Denn die Inflationsrate (CPI) hat sich seit ihrem Hoch von 8,7% im September 2022 – als der Leitzins über die Inflationsrate gehoben wurde – kontinuierlich bis auf 4,6% im August 2023 zurückgebildet. Bis Ende nächsten Jahres könnte, so die Notenbank in ihrem jüngsten Bericht, das Inflationsziel von "3% plus/minus 1%" erreicht werden. Banxico ist es mit ihrem scharf restriktiven Kurs gelungen, nach dem Inflationsschock auch die Inflationserwartungen signifikant zu drücken und jetzt sogar Fiesta-Laune auszulösen. Inzwischen dürfen sich die mexikanischen Sparer nämlich über einen Realzins von mehr als 6% freuen. Zusammen mit anderen Faktoren, wie den attraktiven Standortbedingungen und dem "Nearshoring"-Trend als Folge der geopolitischen Spannungen zwischen USA und China, hat der positive Realzins auch zunehmend ausländisches Kapital in die nach Brasilien größte lateinamerikanische Volkswirtschaft gelockt.
Die davon ausgelöste Aufwertung der Landeswährung Peso gegenüber dem US-Dollar seit Jahresanfang 2023 um 10% nach 5% im Jahr 2022 hat der Exportwirtschaft Mexikos gleichwohl nicht geschadet. Die Peso-Stärke gilt Investoren als Zeichen der Stärke und Stabilität der Wirtschaft. Sie vertrauen darauf, dass Banxico aus dem auch als Tequila-Krise bekannten Crash des Jahres 1994 gelernt hat, und bei Bedarf vor "Hochprozentigem" in der Zinspolitik nicht zurückschreckt. Etwas mehr Tequila täte auch dem geldpolitischen Cocktail der EZB gut.