Cum-ex-Komplex

Toxische Gemengelage

Die öffentliche Schlammschlacht, zu der sich der jüngste Cum-ex-Prozess in Bonn entwickelt hat, ist für keinen der Prozessbeteiligten hilfreich.

Toxische Gemengelage

Im Cum-ex-Komplex hat das Landgericht Bonn erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt, die tatsächlich abzubüßen ist, wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte. Angesichts des hohen finanziellen Schadens, der den Steuerzahlern durch die für Kunden der Hamburger Privatbank M.M. Warburg arrangierten Geschäfte entstand, ist es ein angemessenes Urteil. Zumal dieser Schaden nach Ansicht des Gerichts keineswegs durch Nachlässigkeit entstand, sondern durch geplantes Handeln. Finanz- und Steueringenieure schufen demnach kunstvoll die Voraussetzungen dafür, dass das Finanzamt eine einfach gezahlte Steuer doppelt erstattete.

Für den ehemaligen Grünen-Politiker Gerhard Schick ist das Urteil ein Meilenstein. Der über die Parteigrenzen hinweg für seine fachliche Kompetenz geachtete Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende wertet das Urteil als Schritt, um das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen. Wenn er damit recht hätte, wäre es ein ziemlich teuer erkauftes Vertrauen. Denn der von Anschuldigungen, Anträgen und verbalen Angriffen geprägte Bonner Prozess ist zu einer Schlammschlacht geraten. Dasselbe könnte an den Landgerichten Wiesbaden und Frankfurt passieren, die sich ebenfalls an der juristischen Aufarbeitung des Cum-ex-Komplexes versuchen. Dem eisernen Willen der Staatsanwälte, dem durch die auch nach mehr als einem Jahrzehnt von der im kollektiven Gedächtnis noch immer nicht verarbeiteten Bankenrettung gebeutelten Steuerzahler zu seinem Recht zu verhelfen, steht der Standesdünkel der beteiligten Banker gegenüber. Letztere halten fachfremde Normalsterbliche, ob mit oder ohne Hochschulabschluss, offensichtlich für unfähig, die von ihnen getätigten Cum-ex-Geschäfte auch nur im Ansatz nachzuvollziehen, geschweige denn beurteilen zu können.

Ausgetragen wird der Konflikt dieser sich unversöhnlich gegenüberstehenden Parteien von Juristen, die ihr taktisches Spiel nach eigenen Regeln verfolgen. In Bonn stand auf der einen Seite eine populäre Staatsanwältin in Pumps, die erst kürzlich eine öffentlichkeitswirksame Beförderung erfuhr. Ihr Gegenspieler ist ein nicht minder populärer pensionierter Richter der letzten Instanz, der in die Rolle des Strafverteidigers geschlüpft ist, weil er es offenbar noch einmal wissen will. Zwischen seiner Tätigkeit für den Bundesgerichtshof und seinem Einstieg in eine bekannte Kanzlei hat er sich als Kolumnist reichweitenstarker Medien zu Reizthemen wie dem Kachelmann-Prozess oder der #Metoo-Bewegung ausgelassen. Wer die Texte gelesen hat, kann sich nur schwer des Verdachts erwehren, dass der Verteidiger in seinen scharfzüngig formulierten Angriffen gegen die Oberstaatsanwältin auch deshalb so persönlich wird, weil diese einen neuen, ebenso resoluten wie femininen Frauentyp repräsentiert, dem sein Weltbild keinen Raum bietet.

Als wäre diese Gemengelage nicht toxisch genug, gießt der frühere Arbeitgeber des Angeklagten auch noch Öl ins Feuer. In einer bemerkenswert empathiefreien Stellungnahme legt die Warburg-Gruppe Wert auf die Mitteilung, dass die gegen ihren langjährigen Mitarbeiter verhängte Freiheitsstrafe ohne wirtschaftliche Folgen für sie bleibe. Das mag sogar stimmen, wenn man bereit ist, die Auswirkungen einer angeknacksten Reputation auszublenden. In dieser Disziplin dürfte sich übrigens auch Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz üben. Er muss mit dem Vorwurf leben, dass sich die Hamburger Finanzbehörde während seiner Amtszeit als Erster Bürgermeister der Hansestadt wehrte, die zu Unrecht erfolgten Steuererstattungen zurückzufordern.

Alles in allem scheint der Prozess trotz seines klaren Urteils also denkbar ungeeignet, um das verloren gegangene Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugewinnen oder gar in die Bankbranche, die sich ja neuerdings gerne als Teil der Problemlösung geriert. Vielmehr scheint das würdelose Schauspiel, das dieser Tage in Bonn zu Ende ging, das negative Bild der Branche noch zu bestätigen. Mag sein, dass sich die Frage, ob Cum-ex-Geschäfte strafbare Handlungen sind, nicht so eindeutig beantworten lässt, wie es der einfache Steuerzahler gerne hätte. Doch die Zeiten, in denen sich die Banken ernsthaft darauf berufen konnten, dass ihr „Financial Engineering“ viel zu kompliziert sei, als dass sich die geschätzten Kunden daran ihr Köpfchen zerbrechen sollten, sind vorbei. Der Mut zum kritischen Blick auf sich selbst tut ebenso not wie ein erkennbarer Wille, sein eigenes Tun zu erklären. Beides dürfte sich vor Gericht als ebenso hilfreich erweisen wie im Dialog mit Kunden und anderen Stakeholdern.(Börsen-Zeitung, 4.6.2021)