Traton wird schwedischer
Von Joachim Herr, München
Die hohe Fluktuation an der Vorstandsspitze des Mutterkonzerns Traton verunsichert die Belegschaft von MAN. „Es wird Zeit, dass Ruhe einkehrt“, ist aus dem Münchner Unternehmen zu hören. Doch das könnte nach dem überraschenden Abgang von Matthias Gründler in der vergangenen Woche noch längere Zeit dauern.
Nach seiner Rückkehr zu Traton war Gründler nicht einmal ganz 15 Monate Vorstandsvorsitzender, ehe in der vergangenen Woche sein abrupter Abgang folgte. Der Schwede Christian Levin, seit Mai dieses Jahres schon Vorstandschef von Scania, ist nach Andreas Renschler und Gründler der dritte Mann innerhalb kurzer Zeit an der Spitze von Traton.
Über die Gründe für den Wechsel vor wenigen Tagen lässt sich weiterhin nur spekulieren: Wollte oder musste Gründler gehen? Vielleicht wegen des Ungleichgewichts zwischen Scania und der viel renditeschwächeren Marke MAN? Oder nervte ihn die kurze Leine des Mutterkonzerns Volkswagen? War Gründler wegen der Berufung von Bernd Osterloh zum Traton-Personalvorstand verstimmt oder verlor er einen Machtkampf gegen den früheren Betriebsratschef von VW? Möglicherweise ist es von allem etwas.
Jedenfalls habe der Abschied Gründlers die meisten überrascht, sagt ein Mitarbeiter von MAN. Er sei auch enttäuscht, denn es sei ein gutes Gefühl gewesen, Gründler an Bord zu haben. Dieser habe mit seinem Auftreten und Wirken den Eindruck vermittelt, einen klaren Plan für den Lkw- und Buskonzern und somit auch für MAN zu haben. Nun herrscht wieder große Unsicherheit über die Rolle von MAN in der Nutzfahrzeugholding von Volkswagen.
Levin, seit 2019 im Vorstand von Traton, ist ein Scania-Mann und hatte 1994 seine Karriere als Trainee in dem Unternehmen begonnen. Er ist also geprägt von der Premiummarke, die mit Volvo zum Profitabilitätsmaßstab der Branche zählt (siehe Grafik). Was hat er nun mit MAN vor? Levin kündigte bereits an, „weitere Synergien mit Modularisierung und Skalierbarkeit“ erzielen zu wollen. Bis Ende dieses Jahres will er einen genauen Plan vorlegen.
Spannungen in der Gruppe
Zu erwarten ist, dass sich die Konzernmarken stärker als bisher an Scania orientieren müssen und die Zusammenarbeit zwischen Scania und MAN endlich enger wird. Die Analysten der Deutschen Bank halten den 54 Jahre alten Schweden für eine sehr gute Wahl. Sie weisen darauf hin, dass Scania eine führende Rolle in der Gruppe habe, was häufig Spannungen mit MAN verursache. Die Zusammenarbeit beider Marken sei jedoch für den Erfolg von Traton entscheidend. Ein gemeinsamer Motor, ein wachsender Anteil gleicher Teile und andere Synergien seien ein wesentlicher Schlüssel für höhere Erträge der Gruppe.
Der neue schwere 13-Liter-Dieselmotor, der demnächst auf den Markt kommen soll, wird in Södertälje, dem Stammsitz von Scania, hergestellt – auch für MAN und das vor kurzem vollständig übernommene US-amerikanische Unternehmen Navistar. Und eine Produktionshalle für den leichten Konzern-Dieselmotor wird gerade im Nürnberger MAN-Werk gebaut. Traton folgt damit dem Konkurrenten und Weltmarktführer Daimler Trucks, der eine globale Motorenplattform für seine Marken nutzt.
Der frühere Daimler-Manager Renschler hatte schon im Frühjahr 2016, ein Jahr nach seinem Arbeitsbeginn im VW-Konzern, für Scania und MAN die Devise ausgerufen: „Dass jeder alles macht, wird es künftig nicht mehr geben.“ Doch auch er konnte die Widerstände auf deutscher und schwedischer Seite gegen eine enge Zusammenarbeit nur zum Teil aufbrechen. Beide Unternehmen sind stolz auf ihre Ingenieurleistungen und ihre Tradition. Die erwarteten Synergien von Scania und MAN hatte Renschler damals auf Sicht von 10 bis 15 Jahren auf 1 Mrd. Euro im Jahr beziffert und hinzugefügt, 200 Mill. Euro würden schon realisiert, vor allem im Einkauf.
Frank Schwope, Analyst der Nord/LB, ist schon seit längerem der Ansicht, dass Traton dringend eine Modulstrategie braucht, damit Volkswagen auf diese Weise wie im Pkw-Segment wesentliche Synergien heben und Kosten senken kann. Mit gemeinsamen Entwicklungen und einem gemeinsamen Einkauf sollten sich langfristig Kosten in Milliardenhöhe einsparen lassen. „Trotz der gegenwärtigen Unruhe erwarten wir deutliche Fortschritte im Konzernumbau“, sagt der Analyst mit Blick auf den neuen Vorstandschef und Annette Danielski, die den mit Gründler ausgeschiedenen Finanzvorstand Christian Schulz ersetzt. Allerdings warnt Schwope: „Dass die Pferde erneut mitten im Rennen gewechselt werden, dürfte wichtige Aufgaben verzögern.“
Lob für den Nachfolger
Ein Lob als Vorschuss erhält Levin sogar von seinem Vorgänger Gründler: „Christian Levin ist für diese Aufgabe genau der Richtige“, wird Gründler in der Pressemitteilung zu den Wechseln im Vorstand zitiert. Mit Levin an der Spitze könne die Traton-Gruppe „nun noch stärker von ihrer Lead Brand Scania profitieren“. Die Belegschaft von MAN dürfte diese Huldigung der schwedischen Marke mit gemischten Gefühlen aufnehmen.