LEITARTIKEL

Twitter im Börsengewitter

Twitter ist ein Liebling der Werbewirtschaft, hat Fans im Journalismus und den Kommunikationsabteilungen der Konzerne. Auch die US-Wertpapieraufsicht SEC ist dem Unternehmen prinzipiell wohlgesonnen. Im April 2014 beschloss sie, dass kursrelevante...

Twitter im Börsengewitter

Twitter ist ein Liebling der Werbewirtschaft, hat Fans im Journalismus und den Kommunikationsabteilungen der Konzerne. Auch die US-Wertpapieraufsicht SEC ist dem Unternehmen prinzipiell wohlgesonnen. Im April 2014 beschloss sie, dass kursrelevante Informationen künftig auch über soziale Netzwerke wie Facebook oder eben Twitter verbreitet werden dürfen, weil damit der Vorgabe, die breite Öffentlichkeit zu informieren, genügt werde. Im Fall von Facebook ist das sicher korrekt. Gerade hat das Unternehmen Zugriffe von mehr als einer Milliarde Menschen an einem einzelnen Tag verzeichnet. Twitter hinkt hier meilenweit hinterher. Im zweiten Quartal fiel das Anwenderwachstum so gering wie nie zuvor aus. Interims-Konzernchef und Mitgründer Jack Dorsey bezeichnete die Entwicklung als “inakzeptabel” und löste damit einen prozentual zweistelligen Kurssturz aus.Der Versuch, weniger als zwei Wochen später mit dem Kauf von knapp 32 000 Twitter-Aktien das Vertrauen in das Unternehmen zu stärken, wurde recht schnell als PR-Aktion gewertet. Dorsey besitzt insgesamt rund 21,8 Millionen Twitter-Anteile. Zeitweise sackten die Titel in der abgelaufenen Woche erstmals unter den Ausgabepreis von 26 Dollar. Dank der Erholung der Aktienmärkte in der zweiten Wochenhälfte liegt Twitter wieder leicht darüber. Dennoch ist die Entwicklung nach dem furiosen Start, der in einem Rekordhoch von mehr als 73 Dollar gipfelte, mehr als enttäuschend.Dabei hat Twitter in den vergangenen Quartalen viel dafür getan, um das sinkende Wachstumstempo zu kaschieren. So wurde sogar mehrfach die Definition der Nutzerzahl angepasst, um immer mehr Anwender einzuschließen. Inzwischen werden etwa Nutzer hinzugezählt, die Twitter-Nachrichten nur als SMS aufs Handy zugestellt bekommen. Zudem wurden die bis Anfang des Jahres gemessenen Zeitreihen-Eindrücke durch kryptische Alternativmessungen ersetzt. Sogar die SEC sah sich zu einer gesonderten Anfrage genötigt, um das neue Maß zu verstehen. Dass die Werbeumsätze noch rasant steigen, kann kaum zur Beruhigung beitragen. Im Gegensatz zu Facebook, wo das Erlöswachstum ebenfalls dem Anwenderzulauf enteilt, ist Twitter hoch defizitär. Im ersten Halbjahr stieg der Verlust trotz 60-prozentiger Erlössteigerung um 22 Mill. auf knapp 300 Mill. Dollar. Gerade der Ergebnisentwicklung sollte Twitter wohl mehr Priorität einräumen, da das Anwenderwachstum auch Dorsey zufolge kurzfristig kaum wesentlich zunehmen wird. Twitters Grundproblem scheint ein Mangel an neuen Ideen zu sein. Während Facebook neben teuren Zukäufen wie Whatsapp oder Instagram auch immer wieder auf eigene Faust neue Produktsegmente erschließt, benötigte Twitter selbst für die Einführung längerer direkter Nachrichten zwischen Anwendern Monate.Für ein derart junges Unternehmen scheint die Innovationskraft daher erstaunlich gering. Wenn der zur Jahresmitte zurückgetretene CEO Dick Costolo über Twitter redete, lobte er zwar immer den Innovationsgeist. Im Ergebnis ging es aber meistens um kleinere Verbesserungen des bestehenden Dienstes. Besonders stolz zeigte er sich etwa auf die Fortschritte im Kampf gegen Belästigungen auf der Online-Plattform. Die meisten Anwender dürften dies als Basisaufgabe des Unternehmens, nicht aber als Mehrwert ansehen. Die Integration externer Partner ist auch nett, aber ebenfalls nichts Besonderes.Gewagte Projekte wie bei Facebook, die mit ihrem Smartphone-Betriebssystem krachend gescheitert ist und sich nun an einem virtuellen Assistenten versucht, der Apples Siri und Microsofts Cortana Konkurrenz machen soll, fehlen bei Twitter. Da der Konzern den Anlegern weder inspirierende Visionen noch Anwenderwachstum oder wenigstens steigende Profitabilität bieten kann, ist der Absturz an der Börse nach den Anfangserfolgen leicht erklärlich. Was Twitter nun bräuchte, wäre entweder ein neuer Fokus auf Innovation, um das Anwenderwachstum zu steigern, oder aber stärkere Kostendisziplin, um zu zeigen, dass mit den bisherigen Anwendern gutes Geld verdient werden kann. Im Börsengewitter hat sich Twitter enttäuschend geschlagen. Bislang deutet noch nicht viel darauf hin, dass dies unter Interims-CEO Dorsey anders wird. Dieser hält sich ohnehin alle Optionen offen. Parallel zu Twitter führt er sein zweites Start-up Square und sein jüngster Aktienzukauf war angesichts seines Vermögens auch kein großes Wagnis. Dorseys halbherziges Engagement passt daher ins Bild, das Twitter an der Börse bislang abgegeben hat.——–Von Sebastian Schmid Die Twitter-Aktie startete furios an die Börse, zählt mittlerweile aber zu den großen Verlierern. Trotz Chefwechsel deutet wenig auf Besserung hin.——-