LEITARTIKEL

Undurchschaubarer Aktionär

Das fehlt ProSiebenSat.1 im Umbruch der Fernsehbranche gerade noch: ein Investor, dessen Absichten unklar sind. Klammheimlich sammelte Mediaset 9,6 % der Aktien ein. Der Vorstand der deutschen Privatsendergruppe macht gute Miene zum undurchsichtigen...

Undurchschaubarer Aktionär

Das fehlt ProSiebenSat.1 im Umbruch der Fernsehbranche gerade noch: ein Investor, dessen Absichten unklar sind. Klammheimlich sammelte Mediaset 9,6 % der Aktien ein. Der Vorstand der deutschen Privatsendergruppe macht gute Miene zum undurchsichtigen Spiel des neuen italienischen Anteilseigners der Familie Berlusconi. Schon der Name des einstigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi steht für die Gier nach Macht, Kungelei, Populismus, Skandale, Steuerbetrug sowie Interessenkonflikte eines Politikers, der gleichzeitig Medienunternehmer ist.Abgesehen von dem zweifelhaften Ruf des Aktionärs lassen sich keine Vorteile einer engeren Zusammenarbeit erkennen – über die bisherigen Kooperationen hinaus. Denn im deutschen Fernsehgeschäft gewinnen lokale Produktionen gerade an Bedeutung: Shows, Serien und Spielfilme. Auf diese Weise können sich die hiesigen Anbieter von der schnell wachsenden Konkurrenz der internationalen Streamingdienste noch etwas differenzieren. Dagegen sind US-amerikanische Serien immer stärker im Internet gefragt. Diese Form des Medienkonsums kommt Zuschauern entgegen, die ihre Freizeit flexibler gestalten. ProSiebenSat.1 musste deshalb im vergangenen Jahr den Wert von US-Serien in der Bilanz kräftig senken.Hinzu kommt: Für internationale Koproduktionen arbeiten Fernsehsender verschiedener Länder schon seit langem zusammen. Dafür sind Kapitalbeteiligungen wie nun die von Mediaset nicht notwendig. ProSiebenSat.1 und RTL haben sich ohnehin für andere Wege entschieden, um den von der Digitalisierung beschleunigten Wandel der Branche zu bewältigen. ProSiebenSat.1 verringert mit einem wachsenden Bauchladen an Online-Händlern und Internetportalen von Möbel.de bis Verivox und Parship die Unabhängigkeit vom TV-Geschäft, investiert mehr in digitale Technik und Reichweite sowie eigene Inhalte und verspricht sich von der Streaming-Plattform Joyn mit dem US-Partner Discovery eine neue Einnahmequelle. Joyn startete in diesen Tagen mit dem Live-Programm von 55 Sendern, darunter auch die von ARD und ZDF, sowie den Mediatheken.RTL ist nicht dabei – zumindest vorerst nicht. Das Tochterunternehmen von Bertelsmann vertraut dem Ausbau von “TV Now”, der eigenen Internetplattform mit Streaming-Angeboten. Ob sich mit der einen wie der anderen Strategie richtig Geld verdienen lässt, wird sich erst in einigen Jahren herausstellen. Dass sich die zwei Sendergruppen vom Bündeln der Kräfte zumindest auf den Gebieten Technik und Vermarktung Erfolg versprechen, zeigt das vor kurzem angekündigte Gemeinschaftsunternehmen für individuelle Online-Werbung. Diese Reklame kann nach Kriterien wie Alter, Geschlecht und Einkommen der Zuschauer oder Regionen für alle Sender und Digitalangebote beider Häuser gebucht werden.Kosten zu teilen und Wissen gemeinsam zu nutzen ist angesichts des Umbruchs in der Fernsehwelt sinnvoll. Dazu können auch Partnerschaften mit den US-Internetkonzernen gehören – trotz der Rivalität: So liefert ProSiebenSat.1 demnächst kurze Videos für Facebook. Kapitalverflechtungen sind für solche Projekte und Allianzen aber keineswegs erforderlich. Ist Mediaset also nur ein Investor, der sich mit einem Anteil von knapp 10 % begnügt? Zu Zweifeln an dieser Annahme regt die nun in den Niederlanden gegründete Holding der Italiener für ein europäisches Sendernetzwerk an. Standbeine in Italien und Spanien sowie die Beteiligung in Deutschland sind wohl erst der Anfang.Immerhin: Nach dem Kursverfall erschien ein Kauf von ProSiebenSat.1-Aktien zumindest Mediaset attraktiv. Vor dreieinhalb Jahren wäre der Einstieg dreimal so teuer gewesen. Das lässt die anderen Anteilseigner hoffen, der Sturz des Börsenwerts könnte nun bei 3,4 Mrd. Euro beendet sein. Allerdings sind Finanzinvestoren offenbar noch immer nicht von einer Wende überzeugt und überlassen dem Strategen aus Italien das Feld. KKR, schon einmal mit Permira erfolgreich als Großaktionär von ProSiebenSat.1 engagiert, verspricht sich nun bessere Renditechancen von Axel Springer.Das Verlagshaus in Berlin hat sich schon stark auf das Digitalgeschäft ausgerichtet und erzielt in dem Segment fast drei Viertel des Konzernumsatzes sowie über 85 % des operativen Gewinns. Das Management von ProSiebenSat.1 um Vorstandschef Max Conze steht dagegen erst am Anfang des Wegs. Dass die Route, die erhebliche Investitionen erfordert, zu dauerhaftem Erfolg führt, ist bisher nur fiktionales Programm. ——Von Joachim HerrWas hat Mediaset mit ProSiebenSat.1 vor? Das lassen die Italiener im Dunkeln. Die deutsche Sendergruppe setzt indessen eigene Schwerpunkte. ——