Notiert inTokio

Unmoralischer Vater des Kapitalismus

Das Porträt auf dem neuen 10.000-Yen-Geldschein zeigt Eiichi Shibusawa, den „größten Risikokapitalgeber der Neuzeit“ (Peter Drucker), aber er war auch ein Schürzenjäger ohnegleichen.

Unmoralischer Vater des Kapitalismus

Unmoralischer Vater des Kapitalismus

Notiert in Tokio

Seit knapp einer Woche sind in Japan komplett neue Banknoten im Umlauf. Nach vierzig Jahren wechselten die Porträts auf den drei Geldscheinen zu dem „Vater des Kapitalismus“ Eiichi Shibusawa (10.000 Yen), der Frauenrechtlerin Umeko Tsuda (5.000 Yen) und dem Mikrobiologen Shibasaburo Kitasato (1.000 Yen). Alles Persönlichkeiten aus der Meiji-Zeit (1868–1912), als Japan seine Aufholjagd auf den Westen begann.

Shibusawa (1840–1931) gründete über 500 Unternehmen, darunter Japans erste Bank, Tokyo Gas, Tepco, Kirin, Asahi, IHI und das Imperial Hotel. Der Management-Guru Peter Drucker nannte ihn den größten Risikokapitalgeber der Neuzeit. Er hob auch 600 Institutionen wie die Tokioter Börse, die Handelskammer, Schulen, Universitäten, Waisenhäuser und Japans Rotes Kreuz mit aus der Taufe.

Der Multi-Gründer stammte aus einer Bauernfamilie, die mit der Indigo-Herstellung gut verdiente. Die Teilnahme an einer Delegationsreise in den Westen im Jahr 1867 überzeugte ihn davon, dass Japan dem Westen nacheifern sollte. Das Finanzministerium in Tokio stellte ihn ein, weil er einer der wenigen war, der die doppelte Buchführung verstand. Aber schon nach einem Jahr verließ er den Staatsjob und gründete die „Dai-ichi Bank“, die „Nummer-Eins-Bank“, die heute zu Mizuho gehört.

Keine Gewinnmaximierung

Im Gegensatz zu Yataro Iwasaki, dem Gründer des Mitsubishi-Imperiums, wollte Shibusawa kein Zaibatsu-Konglomerat aufbauen. Er verkaufte die von ihm geförderten Unternehmen in der Regel, sobald sie auf eigenen Füßen stehen konnten. Shibusawa glaubte an einen ethischen Kapitalismus und versuchte, wie Drucker schrieb, „das Talent zu maximieren, nicht den Gewinn“.

Er war der Ansicht, dass Moral und Wirtschaft sich gegenseitig bedingen und untrennbar miteinander verbunden sind. Gewinne sollten dem öffentlichen Interesse untergeordnet werden. Damit war er ein Pionier des heutigen ethischen Investierens und prägte das japanische Ideal des Kapitalismus. Der „Neue Kapitalismus“ von Premier Fumio Kishida ist an dieses Denken angelehnt.

Ausflüge ins Rotlichtviertel

Der TV-Sender NHK widmete diesem Vollblutgründer vor drei Jahren eine Fernsehserie, kehrte seine größte Schwäche aber unter den Teppich: Shibusawa war ein Schürzenjäger ohnegleichen. Im Geschäftsleben predigte er Moral, im Privaten lebte er unmoralisch. Als seine erste Ehefrau Chiyo das erste Kind gebar, vergnügte er sich mit einem Cousin im Rotlichtviertel von Kyoto. Später lebte er mit ihrer Erlaubnis mit Chiyo und Konkubinen unter einem Dach.

Die „exakte Zahl seiner Kinder ist unbekannt“, steht im japanischen Wikipedia-Artikel über ihn, aber das Business-Magazin „President“ schrieb kürzlich von 20 unehelichen Kindern. Eines davon zeugte er im Alter von 68 Jahren. Der Lebensstil mit mehreren Geliebten war in der damaligen Oberschicht durchaus verbreitet. Aber dieser „Frauenheld“ ziert nun für die nächsten Jahrzehnte die höchste Banknote von Japan.

Von Martin Fritz
BZ+
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