LEITARTIKEL

Unter die Räder

Das hat der schon stark gebeutelten Zulieferindustrie gerade noch gefehlt: Zu allen Absatz- und Strukturthemen kommt nun mit der beabsichtigten Fusion der Massenhersteller Fiat Chrysler und PSA Peugeot Citroën eine weitere Belastung hinzu. Denn der...

Unter die Räder

Das hat der schon stark gebeutelten Zulieferindustrie gerade noch gefehlt: Zu allen Absatz- und Strukturthemen kommt nun mit der beabsichtigten Fusion der Massenhersteller Fiat Chrysler und PSA Peugeot Citroën eine weitere Belastung hinzu. Denn der französisch-italienisch-amerikanische Konzern wird nicht nur eigene Stellen in größerem Umfang streichen, sondern auch den Druck auf die Zulieferer erhöhen, um Kosten zu senken. Es ist der perfekte Sturm, auch für Große wie Mahle oder Conti, doch besonders für Zulieferer der Zulieferer.Konjunkturell ist nach Einschätzung von Continental, der globalen Nummer 2 der Branche, auf Sicht von fünf Jahren keine Besserung zu erwarten. Das bedeutet im Klartext, dass gegenüber früheren Prognosen etwa 30 Millionen Fahrzeuge weniger von den Bändern laufen. Dünnere Auftragsbücher sind für Zulieferer nicht nur kritisch, sondern teils auch existenzgefährdend – und das nicht nur vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession. Während hier und da Restrukturierungspläne greifen oder erste Insolvenzen gemeldet werden, müssen sich andere sputen, nicht unter die Räder zu kommen. Es ist ein bisschen viel auf einmal: Auf politischer Ebene belasten die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China und der Brexit. Die Senkung des Flottenverbrauchs ist bei Strafandrohung von 2021 an Pflicht. Vor allem aber kommt die Antriebswende. Der Verbrennungsmotor hat zwar die besten Jahre hinter sich, doch das Zeitalter der E-Mobilität zeichnet sich erst in Umrissen ab. Können es sich OEM und Zulieferer da leisten, zweigleisig zu fahren und Elektrifizierung sowie Brennstoffzelle gleichzeitig zu forcieren? Die Produktzyklen werden immer kürzen, gleichzeitig liegen zwischen Auftragserteilung durch OEMs und Lieferung mehrere Jahre. Die finanziellen Mittel für Neuerungen verknappen den Cash zur Weiterentwicklung angestammter Konzepte. Es ist zwar kaum anzunehmen, dass Autohersteller bloße Hardware-Lieferanten der Techkonzerne aus dem Silicon Valley werden. Doch deren Anteil an der Wertschöpfung und damit am Gewinn wächst unweigerlich. Zu Lasten der weniger digital- und softwaregetriebenen Lieferanten.In der Finanzierung kommen die Zulieferer gleichzeitig auf der Eigen- und Fremdkapitalseite unter Druck. Private Equity fasst Zulieferer nicht einmal mehr mit spitzen Fingern an – es sei denn, Restrukturierungsfälle sind geschenkt zu haben. Die außerbörslichen Bewertungen sind weggebrochen – noch klafft für das Zustandekommen von Deals eine gewaltige Lücke zwischen dem, was sich potenzielle Verkäufer wie Familiengesellschafter mit Blick in den Rückspiegel erhoffen, und dem, was Bieter auf den Tisch zu legen bereit sind. Chinesen, einige Jahre ein reger Kunde für Pkw-Assets in Auktionen, sind quasi vom Markt gefegt. Vor allem auch die Fremdfinanzierung wird schwieriger. Sogar eine Landesbank wie die LBBW hat öffentlich die Reduktion ihres Exposure in dem Sektor angekündigt. Die börsennotierten Zulieferer überraschen selbst mit weiteren Gewinnwarnungen kaum mehr. Ihre Bewertungen sind enorm gesunken. Conti etwa handelt nur mehr mit dem 4,6-Fachen des für 2020 erwarteten Ergebnisses (Ebitda zu Enterprise Value). Eine Kapitalaufnahme über die Börse verbietet sich da geradezu – auch mit Blick auf die Aktionärsstruktur. Kosten senken, Stellen abbauen und Werke schließen sind allein kein tragfähiger Ausweg. Für OEM kommt es darauf, dass auf mittlere Sicht nicht zu viele kleinere Lieferanten ausfallen, die vielfach das Nadelöhr in der Wertschöpfungslieferkette bilden. Bis E-Mobilität wirklich zum nennenswerten Faktor wird, der für Cash-flow sorgt und nicht bloß Mittel verbrennt, ist die Branche auf die herkömmlichen Zulieferer angewiesen. Über das Jahr 2030 hinaus. Schon machen die OEM Druck auf Zuliefer in der ersten Reihe, sich darum zu kümmern, dass die in der zweiten und dritten Reihe überleben. In Japan schmieden Hitachi und Honda ein neues Schwergewicht der Branche. Dort hat schon Calsonic Kansei mit dem Kauf von Magneti Marelli von Fiat Chrysler einen großen Zulieferer geschmiedet. Peugeot will den Anteil von 46 % an Faurecia den eigenen Aktionären übergeben.Die OEM werden gezwungen sein, ihre Lieferanten zu unterstützen, etwa in der Vorfinanzierung von Produktionswerkzeug oder indem Risiken in Joint Ventures geteilt werden. Es geht um Strukturen zur Konsolidierung der Verbrennertechnologien und darum, zu entscheiden, wo Aktivitäten zu bündeln sind. Das ist die strukturelle Disruption.——Von Walther BeckerAutozulieferer im perfekten Sturm: politisch, regulatorisch, technologisch, in Liquiditätssicherung, Bewertung – und nicht zuletzt M&A.——