Im BlickfeldSynthetische Transfers

US-Banken verschieben Kreditrisiken in die dunkle Ecke des Finanzmarktes

US-Banken verkaufen wieder im großen Stil synthetische Risikotransfers an Private Funds. Das schürt die Sorgen um die Finanzstabilität.

US-Banken verschieben Kreditrisiken in die dunkle Ecke des Finanzmarktes

Im Blickfeld

Kreditrisiken landen in der dunklen Ecke

US-Banken verkaufen wieder im großen Stil synthetische Risikotransfers an Private Funds. Damit verlagern sie Gefahren in einen weniger regulierten Bereich des Marktes.

Von Alex Wehnert, New York

US-Großbanken laden Kreditrisiken zunehmend häufiger in einer dunkleren Ecke des Finanzmarkts ab. So greifen Geldhäuser wie J.P. Morgan, Morgan Stanley und U.S. Bancorp nach Angaben von Insidern zunehmend zu synthetischen Risikotransfers, um potenzielle Gefahren in ihren Kreditportfolios abzubauen und somit ihre Eigenkapitalanforderungen zu reduzieren. Bei den sogenannten Credit-Linked Notes (CLN) handelt es sich um hochkomplexe Derivate, die Banken zu attraktiven Renditen von 15% und mehr an Private Funds veräußern.

An der Wall Street bedeutet der neue Fokus auf synthetische Risikotransfers eine Kehrtwende. Denn seit der Finanzkrise 2008 waren große US-Institute in deutlich geringerem Umfang im Marktsegment vertreten. Eine strengere Regulierung erschwerte undurchsichtige Credit-Transaktionen zunehmend – Behördenvertretern waren die Verwerfungen um Credit Default Swaps (CDS), die Ansteckungseffekte nach dem Kollaps von Lehman Brothers noch bedeutend verstärkt hatten, frisch in Erinnerung.

Hohe Volumina in Europa

In Europa legten die Regulatoren im Nachgang der Finanzkrise klare Regeln für das Risikomanagement durch Verbriefungen fest, bei denen die zugrunde liegenden Kredite auf der Bilanz der Banken verbleiben. Laut der EZB-Bankenaufsicht legten 30 Institute der Eurozone im vergangenen Jahr 118 signifikante Risikotransfers (SRT) im Gesamtvolumen von über 170 Mrd. Euro auf – der Wert übertraf das Niveau der Vorjahre deutlich.

Der Großteil davon entfiel nicht auf traditionelle Verbriefungen, sondern auf 72 synthetische Transaktionen auf Grundlage ordnungsgemäß bedienter Kredite. "Banken bevorzugen häufig synthetische Verbriefungen", heißt es bei der EZB-Bankenaufsicht. "Denn diese sind meist günstiger und leichter auszuführen, da eine direkte Interaktion mit dem Sicherungsgeber zustande kommt."

Die Federal Reserve zeigte sich lange Zeit konservativer als europäische Regulatoren und ermöglichte synthetische Risikotransfers nur nach einer Einzelfallbeurteilung. Im laufenden Jahr hat die Aufsicht ihre Standards aber etwas gelockert und Banken auf ihrer Webseite Bedingungen aufgezeigt, unter denen sie bereit ist, Kapitalerleichterungen zuzustimmen. J.P. Morgan soll in den vergangenen Monaten an Transaktionen im Volumen von 2,5 Mrd. Dollar gearbeitet haben, um die Kapitalanforderungen für ihre Unternehmens- und Konsumentenkredite zu reduzieren. Morgan Stanley erhielt im September die Zustimmung für Credit-Linked Notes in neuer Struktur.

Das globale Emissionsvolumen bei CLN dürfte sich nach Schätzungen des in Denver ansässigen Investmentmanagers Arrowmark Partners 2023 auf 20 Mrd. Dollar belaufen. Laut den Analysten von J.P. Morgan verkaufen Banken üblicherweise 10% ihrer Darlehen mit einem Beleihungsauslauf von 60 bis 97% – also einer hohen Risikokategorie – in Form solcher synthetischen Transfers. Daraus lässt sich per Hochrechnung ableiten, dass im laufenden Jahr Kredite im Volumen von bis zu knapp 200 Mrd. Dollar eine frische Kapitalerleichterung erfahren dürften. In den Jahren 2016 und 2017 waren es noch je 60 Mrd. Dollar, gegenüber dem vergangenen Jahr ergibt sich immerhin noch eine Steigerung um fast 40 Mrd. Dollar.

J.P. Morgan geht davon aus, dass die US-Banken insgesamt 2,8 Bill. Dollar an Krediten halten, die für eine Verbriefung durch CLN infrage kämen. Da nicht alle davon eine Kapitalerleichterung erfahren dürften, schätzen die Analysten das potenzielle Marktvolumen bei den Derivaten auf bis zu 220 Mrd. Dollar. Mit der zunehmenden Begabe dieser Kreditinstrumente – die gewissermaßen wie eine Versicherung gegen Zahlungsausfälle funktionieren – bauen die Geldhäuser bereits für deutlich härtere Kapitalvorgaben vor.

Basel III schlägt Wellen

Schließlich arbeiten Regulatoren an der Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III. Nach Ansicht der Branche haben sich Fed & Co. infolge der Zusammenbrüche der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und der First Republic Bank im Frühjahr allerdings dazu hinreißen lassen, ihre Regelvorschläge deutlich zu verschärfen. Damit schössen sie über den Rahmen hinaus, auf den sich internationale Aufseher 2017 verständigt hätten. Der vorgeschriebene Mindestwert für die harten Kernkapitalquoten (CET1) von US-Bankholdings soll gemäß Entwürfen aus dem Juli um aggregiert 16% steigen.

Goldman-CEO David Solomon kritisiert die konkreten Pläne für die Umsetzung von Basel III in den USA als gefährlich. Foto: Vernon Yuen/NurPhoto.

Eine ursprünglich bis Ende November angesetzte Marktkonsultation zu den Vorgaben verlängerten die Regulatoren angesichts des hohen Redebedarfs zuletzt bis Mitte Januar. Auch während der Berichtssaison zum dritten Quartal machten viele Bankvorstände ihrem Frust über die Vorschläge Luft. David Solomon, CEO von Goldman Sachs, bezeichnete die Pläne als gefährlich für die Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit des US-Finanzmarktes.

Letztlich, resignieren Branchenköpfe wie J.P.-Morgan-Chef Jamie Dimon, dürfte den Banken aber wenig anderes übrig bleiben, als die von den Regulatoren aufgekochte Brühe zu schlucken. Damit dürfte die Attraktivität synthetischer Risikotransfers noch zunehmen. Denn die Finanzinstitute müssen auf die Kreditinstrumente zwar hohe Zinsen berappen – was sie netto aber immer noch weniger teuer zu stehen kommt als die Rückstellungen, die sie bei höheren Fremdkapitalrisiken auf ihren Büchern bilden müssen.

Laut Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan, müssen US-Banken sich an strengere Kapitalvorgaben anpassen. Foto: Bonnie Cash/UPI Photo via Newscom picture alliance.

Allerdings stellt der Sprung der CLN-Volumina eine extreme Ausprägung des Trends der vergangenen Jahre dar, in dessen Zuge sich Mittel und Kreditrisiken verstärkt zu Private Funds verschoben haben. Firmen wie Ares Management und Blackstone schlagen bei den synthetischen Risikotransfers bereits mit Gusto zu oder bauen ihre Kapazitäten zumindest aus – so wie Private-Credit-Manager auch Hypotheken- oder Konsumentenkreditportfolios der Geldhäuser aufkaufen.

Doch während Finanzinstitute mit Einlagengeschäft in den USA in einem zunehmend engeren regulatorischen Korsett operieren, sind Alternatives-Manager bisher weitaus weniger strengeren Kontrollen unterworfen. Angesichts der allgemein nachlassenden Asset-Qualität, die Ratingagenturen wie S&P und Moodys hervorheben, bietet die zunehmende Verschiebung von Kreditrisiken in dunklere Ecken des Markts laut Analysten durchaus Anlass zur Sorge um die Finanzstabilität.

Negativer Rating-Effekt

Fitch hebt zudem die Auswirkungen des CLN-Booms auf die Banken selbst hervor. Denn Institute könnten durch die Risikotransfers zwar ihre harten Kernkapitalquoten steigern und sich somit Spielraum verschaffen, um die Kreditvergabe anzukurbeln. Dies werde aber auf den weiter gefassten Kapitalquoten lasten, die stärker in den Fokus rücken müssten. Netto könne sich die Kapitalerleichterung durch CLN also sogar negativ auf die Ratings der Institute auswirken. Dies gelte insbesondere für mittelgroße Geldhäuser – und gerade diese stehen seit dem Frühjahr unter besonderem Druck.