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US-Börsenriesen drängen in neue Geschäftsfelder

Die Nasdaq und die Nyse suchen ihre Erträge abseits des Trading- und Listing-Geschäfts zu diversifizieren. Konstant hohe Einnahmen aus ihren Finanztechnologie-Sparten dürften laut Analysten die Aktienkurse der Börsen-Muttergesellschaften antreiben.

US-Börsenriesen drängen in neue Geschäftsfelder

Im Blickfeld

US-Börsenriesen drängen in neue Geschäftsfelder

Nasdaq und Nyse suchen Erträge abseits von Trading und Listing zu diversifizieren

Von Alex Wehnert, New York

An der Wall Street soll der Dollar künftig aus unterschiedlichen Richtungen hereinwehen. Denn Amerikas Börsenriesen wollen sich weniger abhängig vom volatilen Trading machen – und drängen deshalb in neue Geschäftsfelder. Dabei versuchen sie auch ihre bestehenden Stärken auszuspielen: Die Erfahrung im Management großer Datensätze und im Umgang mit weit verzweigter, technologisch komplexer Finanzinfrastruktur.

So hat die Nasdaq, traditionell bekannt als zentraler Platz für den Handel mit Wachstumsaktien, sich mit der Bekämpfung von Verbrechen ein zusätzliches Standbein geschaffen. Mit der 2,75 Mrd. Dollar schweren Übernahme des Softwareunternehmens Verafin, das Banken mittels künstlicher Intelligenz bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität hilft, schloss der Marktbetreiber vom New Yorker Times Square 2020 seinen größten Deal seit einem Jahrzehnt ab – und will mit ihrer Tochter nun langfristig gewaltige Ertragsströme anziehen.

Große Verluste durch Betrug

Denn die Börsenmutter schätzt, dass allein 2023 global 480 Mrd. Dollar durch Bankbetrug verloren gingen. Gemäß den Vereinten Nationen werden pro Jahr 2 bis 5% des globalen Bruttoinlandsprodukts, also bis zu 2 Bill. Dollar, gewaschen. Entsprechend steigen auch die Ausgaben, über die Finanzinstitutionen illegale Geldströme zu unterbinden suchen. Der Research-Dienst Celent geht davon aus, dass 2024 über 230 Mrd. Dollar in Compliance und die Betrugsprävention fließen werden. Der Großteil entfällt dabei auf führende US-Banken um J.P. Morgan, doch gerade kleinere Geldhäuser und Fintechs besitzen noch enormen Investitionsbedarf – genau auf diese Kundengruppe hat sich Verafin spezialisiert.

Für die Nasdaq war das Geschäft mit dem Management von Finanzkriminalität zuletzt eines der wachstumsstärksten. Der organische Erlöszuwachs von 24% zum Vorjahr stand im zweiten Quartal nur hinter der Indexsparte zurück, die um 29% zulegte. Für die mittlere Frist sagt der Marktbetreiber der Anti-Financial-Crimes-Abteilung nicht nur kontinuierliche annualisierte Umsatzsteigerungen in ähnlicher Höhe wie zuletzt vorher, sondern rechnet sich auch starke Cross-Selling-Möglichkeiten im breiteren Finanztechnologiegeschäft aus.

Führende Banken als Kunden

Seit 2023 hat Nasdaq Verafin zwei sogenannte Tier-1- und vier Tier-2-Banken – also große Institute mit einer äußerst stabilen Kapitalbasis – als Kunden gewonnen. Dadurch wächst wiederum der Informationsfluss in die Datenbanken des Marktbetreibers, den dieser in anderen Unternehmenszweigen wie dem Geschäft mit Risikomanagement-Dienstleistungen ausspielen kann. Analysten sehen eine anhaltend starke Expansion bei Finanztechnologien als wichtige Unterstützung für die Aktie der Nasdaq, deren Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Profitschätzungen für die kommenden zwölf Monate laut dem Datendienst Refinitiv derzeit bei rund 25 liegt.

Damit übertrifft es den Branchenmedian im Börsensektor, der sich auf 11,25 beläuft, zwar deutlich. Die Intercontinental Exchange (ICE) als Mutter der New York Stock Exchange (Nyse) kommt allerdings auf ähnliche Niveaus. Und im Vergleich zu den großen Software- und Technologiewerten, mit denen sich die Marktbetreiber vom Times Square und der Wall Street stärker messen wollen, besteht somit noch viel Luft nach oben – zumal die ICE und Nasdaq zugleich hohe bereinigte operative Margen von 59% bzw. 53% vorweisen können.

Interesse an deutschen Listings

Der Fokus der Anleger liegt indes noch stark auf dem Geschäft mit Aktiennotizen, der Wettbewerb um neue Listings hat mit der Aussicht auf eine geldpolitische Lockerung der Federal Reserve und eine höhere Liquiditätszufuhr an den Kapitalmärkten in den vergangenen Monaten angezogen. Die Nyse hebt dabei auch ihr starkes Interesse an Initial Public Offerings europäischer bzw. deutscher sowie japanischer Unternehmen hervor, die Kanzlei White & Case sieht die Position der US-Börsen als „globale Magneten für grenzübergreifende Listings“ jedenfalls intakt. 

Zudem wagen sich im Geschäft mit Aktiennotizen neue Wettbewerber vor. So soll in Dallas die elektronische Börse TXSE entstehen, die von Investoren um Blackrock und den Marketmaker Citadel Securities mit Milliardenmitteln gestützt wird und ab dem kommenden Jahr um Trading-Volumina buhlen und ab 2026 im lukrativen Listing-Markt angreifen will. Damit schlägt die TXSE in die gleiche Kerbe wie die Investors Exchange oder die als Optionsbörse bekannte CBOE Global Markets, die ebenfalls versucht haben, den Druck auf Nyse und Nasdaq zu erhöhen. Bereits vor sechs Jahren zog die CBOE ihre Aktien von der Nasdaq zurück und listete sie an der eigenen Börse.

Chicago fokussiert sich auf Transaktionsgebühren

Allerdings ist auffällig, dass das Trading bei den Chicagoer Derivate-Marktplätzen noch immer einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt als in New York. Für die CBOE machten Transaktionserlöse im abgelaufenen Quartal 71,6% des Gesamtumsatzes aus, in der Vergangenheit waren auch Werte von über 75 bis nahezu 80% üblich. Auch die größere Konkurrentin, die CME Group, konzentriert sich weit stärker als die Riesen vom Times Square und der Wall Street auf ihren Status als Marktbetreiber: Im vergangenen Quartal stammten rund 82% der Erlöse der global führenden Terminbörse aus Clearing- und Transaktionsgebühren, zeitweise lag der Anteil bei nahezu 90%. Marktdaten- und Informationsangebote nehmen dagegen ein deutlich geringeres Gewicht ein.

Analysten befürchten nun, dass der Handel in einigen der wichtigsten Produkte der CME, Futures auf die Federal Funds Rate oder den Interbanken-Zinssatz Sofr, nach der für Mitte September erwarteten geldpolitischen Wende zum Erliegen kommt oder zumindest nicht mehr so stark wachsen wird wie zu Zeiten eines restriktiven Fed-Kurses. Zuletzt hat die Zahl der offenen Kontrakte mit über 18,3 Millionen noch einen Rekord erreicht, in vergangenen Zinszyklen herrschte bei den Trading-Volumina nach einem Umschwung der Notenbank aber stets plötzliche Ebbe. Zwischen Mai und Ende Juli setzte die Aussicht darauf die an der Nasdaq gelistete CME-Aktie unter Druck, seither hat die Hoffnung auf zumindest nicht zu drastische Zinssenkungen und ein starkes Wachstum der Volumina und des Open Interest in allen Assetklassen dem Titel wieder Auftrieb verliehen.

Doch die Sorge, dass der Chicagoer Marktbetreiber nicht diversifiziert genug aufgestellt ist, hält sich. Bei der Nasdaq und der Intercontinental Exchange kamen zuletzt hingegen weniger als die Hälfte der Erlöse über das Trading zustande. Stattdessen setzen sie verstärkt darauf, sich neue Technologien zu erschließen. „Börsen wie die unsere können künstliche Intelligenz produktiv nutzen, um Menschen mehr Kapazitäten für Aufgaben mit einer höheren Wertschöpfung zu verschaffen“, sagte Nyse-Präsidentin Lynn Martin Ende 2023 im Interview der Börsen-Zeitung. „Beispielsweise haben wir unsere Effizienz erhöht, indem wir die großen Datenmengen stärker nutzbar machen, die durch die Nyse fließen.“

Nyse verdient bei Immobilien mit

Martin ist zugleich Vorsitzende von ICE Fixed Income and Data Services – eine Sparte, die beim nach Marktkapitalisierung größten US-Börsenbetreiber zuletzt immerhin ein Viertel der Erlöse generierte. Anteile in ähnlicher Größenordnung spielt die Intercontinental Exchange inzwischen mit Technologien und Digitalisierungslösungen für den Immobilienmarkt ein. Die CBOE und CME verstehen sich dagegen von Grund auf weniger als Anbieter von Daten, sondern von Risikomanagement-Lösungen für Investoren.

Lynn Martin lenkt nicht nur die New York Stock Exchange, sondern kontrolliert auch das Datenservice-Geschäft der Mutter ICE. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Seth Wenig.

Stimmen aus dem Umfeld der weltgrößten Terminbörse halten es indes nicht für ausgeschlossen, dass sich die CME auf die Suche nach neuen Erlösquellen begibt. Zwar hegen die Chicagoer laut Tim McCourt, dem globalen Leiter für Aktien-, Devisen- und Alternatives-Produkte, keine Pläne, in das Geschäft mit Cash-Aktienlistings vorzustoßen, das in seiner aktuellen Form gut funktioniere. Allerdings richte sich die CME hinsichtlich ihrer Angebote nach „klar artikulierten Kundennachfragen“.

So stieß die Börse durch die Übernahme von NEX Markets und deren Fixed-Income- und Devisen-Plattformen Brokertex und EBS 2018 auch in den Brokerage-Markt vor. „Wir werden uns weiterhin mit Kunden austauschen, um die Nachfrage nach zusätzlichen Angeboten abzuschätzen, fürs Erste bleiben wir aber auf Risikomanagement-Lösungen fokussiert“, sagt McCourt. Während Chicago also noch zögert, ist New York schon munter in neue Geschäftsfelder vorgeprescht.

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