Verborgene Schuldenmärkte: Hier droht die nächste Finanzkrise
Private Debt
Verborgene Schuldenmärkte:
Hier droht die nächste Finanzkrise
Das Geschäft mit hoch rentierenden Unternehmenskrediten boomt zunehmend abseits der öffentlichen Börsen. Die Risiken sind immens.
Daniel Zulauf, Zürich
Von Daniel Zulauf, Zürich
Wir sind draußen“, sagt der Insider unter der Bedingung, dass weder er noch seine Firma namentlich genannt werden. Der Mann mit der anonymen Stimme ist ein abgezockter Schweizer Investmentprofi, der in seinen mehr als 30 Berufsjahren gelernt hat: Exponiere dich nie ohne finanziellen Nutzen. Das Feld, das der diskrete Herr nach lukrativen Jahren ganz und gar eigennützig der Konkurrenz überlassen will, heißt im Jargon „Private Debt“.
So privat, wie es die neudeutsche Bezeichnung suggeriert, sind diese Kapitalmärkte keineswegs. Das Geld, das sich vornehmlich kleinere Unternehmen auf jenen Märkten borgen, gehört zum großen Teil der Allgemeinheit – den Menschen, deren Ersparnisse in Pensionskassen oder Lebensversicherungspolicen liegen. Obschon: die wenigsten von ihnen wissen, dass sie dort investiert sind. In der arbeitsteiligen Welt der Vorsorge ist der Hinweis auf die Gesamtrendite im jährlichen Vermögensausweis für die meisten Versicherten schon das Maximum an Information.
Geld in „Spezialisten“-Hand
Die Entscheidungen treffen Anlagespezialisten. Solche, die anders als gewöhnliche Sparer über das behördliche Plazet „qualifiziert“ verfügen. Will heißen: Sie kennen die besonderen Risiken der verborgenen Kapital- und Finanzmärkte und wissen, wie das Kapital dort am besten zu schützen ist.
Aber wie gut sind diese qualifizierten Investmentspezialisten wirklich? Wie sorgfältig gehen sie mit dem Kapital der Sparer um? Nicht sorgfältig genug, findet der Insider und sagt: „Private Debt hat viel zu viel Geld.“ Er meint, dass sich in diesen verborgenen Schuldenmärkten zu viele Investoren tummeln. Sie sind bereit, mit den Ersparnissen anderer Leute Risiken einzugehen, für die es keine angemessene Rendite mehr gibt. Historisch sei das Risiko von Firmenkrediten im Privatmarkt mit einer Jahresrendite von 5 bis 7% zuzüglich eines Referenzzinssockels (Libor) abgegolten worden, weiß der Investor. Diese Renditeniveaus würden seit einiger Zeit nicht mehr erreicht.
Der IWF warnt im Stabilitätsbericht
Wie das für breite Kreise von größeren und kleineren Sparern zum Problem werden kann, erklärt der Internationale Währungsfonds (IWF), zu dessen Aufgaben die Überwachung der globalen Finanzstabilität gehört. Im April warnte die Institution in ihrem jährlichen Stabilitätsbericht: Private Debt sei ein „undurchsichtiger“ Markt, in dem sich schmalbrüstige Schuldner in immer größerem Umfang aus Vorsorgekapital von Pensionskassen und Versicherungen finanzierten. Wenn dieser Markt so intransparent bleibe, das exponentielle Wachstum anhalte und seine begrenzte Überwachung nicht ausgeweitet werde, könnte daraus ein Risiko für die Finanzstabilität entstehen, heißt in dem Bericht.
Warnen ist zwar eine Kernfunktion des IWF. Doch an den Haaren herbeigezogen sind die Bedenken der Behörde in Washington beileibe nicht. Das Kreditvolumen an den verborgenen Kapitalmärkten ist seit der Finanzkrise 2007 förmlich explodiert. Es beläuft sich aktuell auf rund 2.000 Mrd. Dollar (2 Billionen) und hat sich in den vergangenen 16 oder 17 Jahren vervielfacht.
Regulierung und Zinsen als Treiber
Die Regulierung der Banken und die niedrigen Zinsen treiben das Wachstum an. Die Regulatoren zwangen die Banken, im Zug der Finanzkrise ihre Kredite mit mehr Eigenkapital zu unterlegen. Diese Maßnahme hat zwar deren Risikoappetit gezügelt, gleichzeitig aber einer weit weniger streng regulierten Vermittlerbranche das Tor zum Geschäft mit nicht öffentlich handelbaren Beteiligungs- und Schuldpapieren (Private Equity und Private Debt) weit aufgestoßen. Es ist ein immenses Feld. Blackstone und Apollo, zwei der größten Akteure auf den globalen Privatmärkten mit verwalteten Vermögen von 1 Bill. bzw. 500 Mrd. Dollar, beziffern allein das Potenzial für Private Debt mit 30 bis 40 Bill. Dollar.
Der zweite Grund für die hohen Wachstumsraten ist das dramatisch gesunkene Zinsniveau. Seit der Finanzkrise befeuern die niedrigen Zinsen die Jagd von Investoren nach Anlagemöglichkeiten mit besseren Renditeaussichten. Versicherungen und Pensionskassen, die gegenüber ihren Kunden feste Leistungsversprechen erfüllen müssen, sind für solche Angebote besonders empfänglich.
Die Blase ist schon da
Für Jürg Lutz, Gründer und Geschäftsführer der Pensionskassenberatungsfirma PK Assets, steht fest, dass die gefährliche Blase, vor der der IWF warnt, bereits entstanden ist. „Die Blase wächst weiter, bis sie durch eine Rezession oder durch ein anderes Ereignis zum Platzen gebracht wird“, sagt der erfahrene Bondmarktanalyst. „Das kann unter Umständen lange dauern.“ Klar ist aber, dass das Platzen von Finanzblasen zur Vernichtung von Vermögenswerten führt, die nur auf dem Papier bestanden haben.
Genau vermessen lasse sich das Risiko aufgrund der schlechten Datenlage in den Privatmärkten nicht, schreibt der IWF. Doch die alarmierenden Zeichen, die im Stabilitätsbericht teilweise schon angesprochen worden sind, erkennen Jürg Lutz und der vorsichtig gewordene „Insider“ inzwischen allzu deutlich.
Covenant-light nimmt zu
Beide verweisen auf die beunruhigende Zunahme von sogenannten Covenant-light-Verträgen. Das sind Kreditverträge, in denen die der Sicherheit der Gläubiger dienenden Bedingungen stark aufgeweicht sind. Selbst aktive Akteure wie Andrew Bellis, Spartenchef beim großen Schweizer Private-Debt-Vermittler und Privatmarktspezialisten Partners Group, sagte unlängst im Gespräch mit der Fachzeitschrift „Private Debt Investor“: „Wir sehen eine Zunahme von Covenant-light-Verträgen.“ Es gebe die Sorge, dass die Privatkapital-Vermittler in ihrem intensiven Wettbewerb um lukrative Deals den Bogen überspannten.
Partners Group, Blackstone, Apollo und die vielen anderen Akteure lassen sich die Vermittlungsarbeit von ihren Kunden mit hohen Management- und Performancegebühren bezahlen. Diese zahlen anstandslos in der Erwartung, hohe Rendite einzufahren. Aber was im Moment wie eine Win-win-Situation auszusehen scheint, könnte sich leicht ins Gegenteil verkehren.
Vom Kreditgeber zum Verkäufer
„Private Debt ist ein Verkäufermarkt“, sagt Lutz. „Die Bedingungen stellen inzwischen die Schuldner und nicht mehr die Kreditgeber.“ Diese Verkehrung der ökonomischen Welt ist umso bedenklicher, als die Schuldner in vielen Fällen kaum Sicherheiten zu bieten haben.
Seit 2022, als die steigenden Inflationsraten zu einem weltweiten Anstieg des Zinsniveaus führten, sind viele in Bedrängnis geraten. Zum drastischen Anstieg von Insolvenzen kam es trotzdem nicht. Ein Grund dafür: Säumige Zinszahlungen werden immer häufiger nicht mehr via Konkursamt eingefordert. Stattdessen werden offene Zahlungsverpflichtungen den Schulden zugeschlagen und erst zur Kreditfälligkeit eingefordert. „Payment-in-Kind“ (PIK) heißt die elegante Methode, mit der Pleiten verhindert und die Illusion von Stabilität gewahrt wird.
PIK-Klauseln in immer mehr Verträgen zu finden
Gemäß einer Bloomberg-Erhebung gibt es derzeit fast doppelt so viele Private-Debt-Verträge mit PIK-Klauseln wie Ende 2021. Ebenso alarmierend ist ein anderer Trend: Gewisse Banken versuchen nun Private-Credit-Portfolios so zu strukturieren, dass sie sich als ETF via Börse auch an ganz gewöhnliche, nicht „qualifizierte“ Anleger verkaufen lassen. Das führt „Private Debt“ definitiv ad absurdum. Die verborgenen Kapitalmärkte werden über die Hintertür wieder öffentlich, mit dem Unterschied, dass die Schuldner in den verborgenen Märkten keine Transparenz und Informationsauflagen zum Schutz ihrer Gläubiger erfüllen müssen.