Verdrängungswettbewerb am Bernabéu
Notiert in Madrid
Verdrängungswettbewerb am Bernabéu
Von Thilo Schäfer
Eine Europameisterschaft wie dieses Jahr in Deutschland wäre für die Anwohner des Estadio Santiago Bernabéu in Madrid eigentlich eine willkommene Ruhepause zwischen den Spielzeiten des Ligabetriebs. Doch in Chamartín, einem eher gehobenen Stadtteil, wünscht man sich dieser Tage trotz aller Unannehmlichkeiten die Fußballfans von Real Madrid zurück. Denn das weltberühmte Stadion ist nach dem aufwendigen Umbau zum Schauplatz für Großkonzerte geworden. Das gab es früher zwar auch schon. Doch waren es bei weitem nicht so viele Veranstaltungen, und die waren auch nicht so laut wie heute. Seit Wochen protestieren die Anwohner gegen die Events, wie die zwei Auftritte von US-Megastar Taylor Swift im Mai, als die Anhänger tagelang die Straßen rund um das Bernabéu belagerten. Die Madrider Stadtverwaltung hat wegen Überschreitung des Geräuschpegels bereits Strafen gegen die Ausrichter verhängt.
Der große Klub aus der Hauptstadt hat seine altehrwürdige Spielstätte zu einer Multifunktionsarena umgebaut, mit Shoppingmalls, Restaurants und Bars, die nicht nur für die Spiele des frisch gebackenen spanischen Meisters und Champions-League-Siegers dienen soll, sondern eben auch für Konzerte. Neben Taylor Swift machte auch der Argentinier Duki reichlich Lärm, und Telefónica zelebrierte mit einem Großkonzert das 100. Konzertjubiläum. Bis im September La Liga wieder losgeht, sind noch einige Events im Bernabéu gebucht.
Das Stadion wurde in den 1940er Jahren am damaligen Stadtrand gebaut. Heute liegt der ultramoderne Koloss am Paseo de la Castellana in bester zentraler Lage. Den Nachbarn geht es vor allem um die Konzerte. Bei Fußballspielen wird es nur ab und zu richtig laut, meistens wenn Real ein Tor schießt. Bei den mehrstündigen Musikveranstaltungen ist der Dezibel-Level dagegen beständig hoch. Eine Nachbarschaftsinitiative hat begonnen, monatliche Beiträge von 200 Euro pro Haushalt einzusammeln für eine Klage gegen Real Madrid und eventuell die Stadt.
Es gibt auch Leute, die aus dem Ärger der Bewohner Kapital schlagen wollen. Eine Immobilienfirma verteilte Flugblätter an die Briefkästen der Gegend: „Haben Sie genug von dem Lärm? Das ist der Moment, um die Wohnung zu wechseln.“ Manche Anwohner berichteten über Anrufe von Maklern, die dazu rieten, die aktuellen Preise zum Verkauf zu nutzen. Tatsächlich zieht es viele Menschen in ruhigere Ecken. Eine Studie der Immobilienfirma Gloval nahm 1.700 Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft des Santiago Bernabéu und 6.300 in der Nähe unter die Lupe. In der ersten Gruppe stiegen die Verkaufsangebote gegenüber dem Vorjahr um 57%, in der zweiten um 22%. Dennoch bleiben die Preise stabil. Denn es gibt eine neue Klientel für die Immobilien am Stadion. So ist etwa der Anteil der Ferienwohnungen deutlich gestiegen. Das passt zum Bild bei den Spielen von Real Madrid, wo zunehmend mehr Touristen an Karten kommen und die heimischen Fans verdrängen.