Lieferkettengesetz

Verfallt nicht in Sorgfaltspflichten-Panik, liebe Banken!

Unmut über das dilettantisch eingeführte Lieferkettengesetz ist angesichts unterlassener Hilfeleistung berechtigt. Furcht vor unzumutbaren EU-weiten Sorgfaltspflichten ist hingegen übertrieben.

Verfallt nicht in Sorgfaltspflichten-Panik, liebe Banken!

Wann immer es um das Lieferkettengesetz geht, steigt bei Beteiligten aus der Finanzindustrie der Blutdruck. Branchenvertreter sind hin- und hergerissen: Einerseits wünschen sie sich klar ausformulierte Handlungsanweisungen und vor allem Rechtssicherheit. Mit jenen Sorgfaltspflichten, wie sie seit 1. Januar in Deutschland gelten, ist dies nicht der Fall – und die zuständige Behörde ist leider keine Hilfe. In die verbreitete Unsicherheit mischt sich andererseits Furcht vor dem Ausmaß europaweiter Sorgfaltspflichten, die in Brüssel ausgehandelt werden. Die ist mal mehr, mal weniger berechtigt.

Der Unmut in der Branche über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist verständlich: Der Auftrag an Banken und Finanzdienstleister, Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Geschäftsbeziehungen zu wahren, ist so vage, wie der Name des Gesetzes kryptisch ist. Klar ist nur: Die Finanzindustrie kommt an den Pflichten nicht vorbei, auch wenn das Gesetz in erster Linie für die Realwirtschaft gedacht ist. Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) leistet derart wenig Unterstützung, dass Juristen wohl mit Fug und Recht vom Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung sprechen könnten. Dabei ist die Behörde dafür zuständig, das Lieferkettengesetz in die Praxis umzusetzen und zu konkretisieren.

Damit nicht genug. Das Ringen mit den nationalen Sorgfaltspflichten, die im ersten Jahr für Finanzinstitute ab 3000 Mitarbeitern in Deutschland vollumfänglich greifen, wird überschattet von der Lobbyschlacht in Brüssel. Die ist in vollem Gange, seitdem die EU-Kommission im Frühjahr 2022 ihren Entwurf präsentiert hat. Der ist im Ansatz vergleichbar mit dem deutschen Gesetz, geht aber darüber hinaus – und richtet sich auch explizit an die Finanzbranche. Das Thema werde komplett unterschätzt, meinen Eingeweihte. Wirklich?

Der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, dass Banken ab 500 Mitarbeitern und einer gewissen Umsatzschwelle Sorgfaltspflichten zu erfüllen haben. Die sollen nach den Vorstellungen der Brüsseler Behörde bis zum Abschluss eines Finanzierungsgeschäfts greifen, anschließend nicht mehr. Mitgliedstaaten und EU-Parlament haben gegensätzliche Vorstellungen. Die zuständigen nationalen Minister wollen selbst darüber entscheiden, was sie ihrem heimischen Finanzsektor aufbürden. Institutionelle Investoren wollen sie pauschal verschonen. Eine solche „Lex Blackrock“ wird das EU-Parlament ablehnen. Auch an anderer Stelle wollen die EU-Abgeordneten nachschärfen und noch deutlich weiter gehen als die EU-Kommission.

Unter Branchenvertretern geht deshalb die Angst um, dass Sorgfaltspflichten zu einem kaum zu bändigenden Bürokratiemonster mutieren. Die Banken stöhnen doch längst über immer neue Berichtspflichten und Risikovorgaben unter dem Siegel der Nachhaltigkeit. Glaubt man Insidern, droht im Extremfall die Finanzierung ganzer Industriezweige auszutrocknen: Banken und Investoren, so eine Befürchtung, könnten Hersteller von Kaffee, Kakao oder Papier meiden – aus Furcht, zur Entwaldung beizutragen.

Befürworter neuer Sorgfaltspflichten beteuern, es gehe nicht um noch mehr Berichtspflichten. Prüfen müssten Banken und Fonds Geschäftsmodelle ohnehin, bevor Darlehen fließen oder Aktienpakete im Depot landen. Menschenrechte kommen nach dieser Lesart schlicht on top. In der Branche kursierende Sorgen, als Hochrisikosektor mit besonders weitreichenden Sorgfaltspflichten eingestuft zu werden, sind nach Lage der Dinge unbegründet. Eine solche Extremforderung scheint nicht konsensfähig.

Eine mögliche Kompromisslinie in den Verhandlungen: Sorgfaltspflichten kommen abgestuft, statt auszuufern – je weiter weg in der Wertschöpfungskette ein Geschäftspartner, umso milder die Pflichten, je gravierender ein entdeckter Verstoß, umso dringlicher ein Eingreifen. Im Gegenzug sind stille Investoren womöglich nicht ganz aus dem Schneider: Die Blackrocks dieser Welt könnten verpflichtet werden, in Hauptversammlungen entschiedener für Nachhaltigkeitskriterien einzutreten.

Zu Recht beklagen Bankenvertreter das für sie dilettantisch umgesetzte Lieferkettengesetz. Auch sind ihre Sorgen vor europäischer Überregulierung ernst zu nehmen. Gleichwohl ist es unter der Maßgabe eines fairen Wettbewerbs zu begrüßen, Sorgfaltspflichten EU-weit zu vereinheitlichen und eindeutig auszubuchstabieren. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass dabei unzumutbare Sorgfaltspflichten ausbleiben. Der Finanzbranche möchte man deshalb zurufen: Nur keine Panik!

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