Verkaufsempfehlung für offene Immobilienfonds verunsichert
Verkaufsempfehlung für offene Immobilienfonds verunsichert
Gestiegene Sparzinsen treffen auf sinkende Fondsrenditen – Krise am Immobilienmarkt ist ein Damoklesschwert für die Portfolios
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Strauchelnde Projektentwicklungen gibt es immer mehr, doch ein Baustopp bei einem Hochhaus ist schon eher selten. So ist der bis zur halben Höhe fertiggestellte Elbtower in Hamburg ein bitteres Zeichen für eine sich verschärfende Immobilienkrise in Deutschland. Bis 2025 sollte das dritthöchste Hochhaus Deutschlands zwischen den Elbbrücken entstehen, als „ein selbstbewusstes Statement der wachsenden Stadt Hamburg“, so ursprüngliche die Idee. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Seit Ende Oktober ruhen die Bauarbeiten an dem Wolkenkratzer, der vom krisengeschüttelten Immobilienunternehmen Signa realisiert werden soll.
Projektentwicklung trifft Fonds
Die Schieflage bei Projektentwicklungen könnten über kurz oder lang auch den Immobiliensparer erreichen, der oft mit kleinen Summen Anteile an offenen Publikums-Immobilienfonds gekauft hat. Typischerweise investieren die Fondsgesellschaften in fertiggestellte Objekte, besonders häufig in Büroimmobilien. Zu einem gewissen Teil wird aber auch Geld in Projektentwicklungen gesteckt, die ein höheres Risiko ausweisen.
Thomas Beyerle, Leiter Research bei der Immobiliengesellschaft CatellaEin hoher Projektentwicklungsanteil ist sicher ein Risiko.
„Ein hoher Projektentwicklungsanteil ist sicher ein Risiko. Vor allem für Gesellschaften, welche in den Jahren 2018 bis 2021 Forward Funding betrieben haben“, sagt Thomas Beyerle, Leiter Research bei der Immobiliengesellschaft Catella. Forward Funding funktioniere nach dem Prinzip, dass die Anlagegesellschaft dem Projektentwickler Liquidität zur Verfügung stellt und dieser mit Zeitversatz die fertigen Objekte liefere.
Der geplante Elbtower gehörte seit Mitte 2022 zu einem Viertel dem großen Immobilienfonds "Hausinvest" der Commerz Real. Für den Fonds wurde eine Beteiligung von 25% am Eigenkapital erworben. Für ein Produkt mit einem Anlagevolumen von 17,4 Mrd. Euro und mehr als 150 Immobilien ist das allerdings ein kleines Investment. Die Commerz Real weist darauf hin, dass der Anteil von Projektentwicklungen am "Hausinvest" insgesamt bei 3,2% liege.
Fondsrenditen schwächeln
Catella-Experte Beyerle, der den Markt seit mehr als 20 Jahren kennt und mehrere Krisen gesehen hat, sieht momentan keine Abwertungsgefahr für die Fonds, „sofern das Assetmanagement in den Gesellschaften funktioniert“. Ein größeres Problem für die Branche stellt allerdings die Zinsentwicklung dar, seitdem die EZB die Leitzinsen sukzessive auf 4,5% erhöht hat.
Die Marktentwicklung hat dazu geführt, dass Termingelder und Sparbriefe deutlich mehr abwerfen, je nach Laufzeit bis zu 4%. Viele Zinsanlagen bieten mittlerweile eine höhere Rendite als die offenen Immobilienfonds, deren Renditen sich meist nur langsam verändern. Per Ende September kamen die Produkte im Mittel auf eine Performance von 1,6%. Klar, dass die Fonds nach den Jahren mit Null- und Niedrigzinsen jetzt schlecht aussehen. Hinzu kommen fallende Preise am Immobilienmarkt, die sich allmählich auf die Bewertung der Objekte in den Fonds auswirken könnten.
Die Zahlen für das Nettomittelaufkommen offener Immobilienfonds zeigen seit 2020 einen rückläufigen Trend, der sich auch im laufenden Jahr fortsetzt. Im August flossen laut Bundesbank unterm Strich 40 Mill. Euro aus offenen Publikumsimmobilienfonds ab. Das ist der erste Nettomittelabfluss seit Jahren. Im September beschleunigte sich der Abfluss auf netto 115 Mill. Euro. Allerdings sei im bisherigen Jahresverlauf insgesamt mehr Geld in die Fonds hineingeflossen, wie die Ratingagentur Scope in einer Analyse festhält.
ScopeFür 2024 könnte der Saldo jedoch ins Negative drehen.
Das Nettomittelaufkommen bleibe auch im gesamten Jahr positiv, prognostiziert Scope. „Für 2024 könnte der Saldo jedoch ins Negative drehen, da die Zuflüsse weiterhin gering ausfallen dürften und gleichzeitig Abflüsse vorhanden sind, da Fondsanteile unter anderem aus Kündigungen nach Verstreichen der erforderlichen Jahresfrist sukzessive zurückgegeben werden“, so die Einschätzung der Scope-Analysten. Die Mindesthalte- und Kündigungsfristen für offene Immobilienfonds waren mit der Reform 2013 eingeführt worden.
Barkow Consulting zeigt sich unsicher, ob die ersten Nettomittelabflüsse bereits eine Trendwende markieren. „Vor dem Hintergrund zahlreicher medienwirksamer Insolvenzen von Immobilienentwicklern muss daher genau beobachtet werden, ob es sich lediglich um eine saisonale Schwäche im August oder um den Beginn eines anhaltenden Trends von Mittelabflüssen handelt“, schreibt Firmengründer Peter Barkow in einer Analyse.
Thomas Beyerle, CatellaOffene Immobilienfonds hatten lange Zeit keine Konkurrenz am Bankschalter.
Immobilienfonds seien eben nicht allein auf weiter Flur, sie müssten sich erstmals wieder seit Jahren gegen andere Anlageklassen wie Anleihen und Sparbücher behaupten, so die Einschätzung von Beyerle. „Die meisten Anleger wollen keine Aktien, deshalb hatten offene Immobilienfonds lange Zeit keine Konkurrenz am Bankschalter.“ Jetzt seien die Anbieter offener Immobilienfonds gefragt, mehr Rendite zu bieten als Tagesgeldkonten. Das dürfte kurzfristig schwer werden.
Die Rolle der offenen Immobilienfonds beurteilt Scope auch angesichts der Krise am Immobilienmarkt und der attraktiven Sparangebote positiv. „Trotz der Herausforderungen und der im Vergleich zu Zinsanlagen gesunkenen Attraktivität aufgrund des derzeitig hohen Zinsniveaus erfüllen offene Immobilienfonds als langfristiges Investment wichtige Funktionen im Portfolio“, so die Einschätzung der Ratingagentur. Neben einer Streuung der Kapitalanlage böten die Produkte über längere Zeiträume solide Renditen und eine sehr geringe Volatilität. „Damit sind sie oft ein stabilisierender Baustein im Depot.“
Verbraucherportal alarmiert
Ob die Kunden der offenen Immobilienfonds entspannt bleiben und eher die Volatilität als die Rendite im Blick haben, wird sich zeigen. Denn nicht zu unterschätzen sind Stimmen, die deutlich zum Verkauf raten. Das Verbraucherportal Finanztip mit einem reichweitenstarken Newsletter veröffentlichte seine negative Bewertung Mitte Oktober. Die Argumentation zu offenen Immobilienfonds bezieht sich auf zwei Punkte. „Wegen hoher Kosten und niedriger Renditen sind sie heute aber eine unattraktivere Anlageklasse.“ Und als Rat: „Setz statt auf Immobilienfonds lieber auf eine Mischung aus Tagesgeld, Festgeld- und Aktien-ETFs.“
Klar scheint für die Experten von Finanztip, dass infolge einer Immobilienkrise ein Wertverlust die Anleger stark treffen würde. Wer kaum andere Investments habe, sollte „den angelegten Betrag und damit die Abhängigkeit vom Immobilienmarkt reduzieren“.
Nun ist der Verkauf der Anteile an offenen Immobilienfonds anders als bei anderen Investmentfonds durch Fristen stark eingeschränkt. Wer seine Fondsanteile nach der Reform 2023 gekauft hat, muss diese zunächst zwei Jahre halten und danach eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten beachten. Für Altanleger gilt allerdings ein Freibetrag von 30.000 Euro je Halbjahr, den sie auch kurzfristig abziehen können.
10 Prozent Preisabschlag
Viele Anleger können also ihre Anteile gar nicht schnell zum offiziellen Preis an die Fondsgesellschaft zurückgeben. Daher empfiehlt Finanztipp in bestimmten Fällen den Verkauf über eine Börse, wo Anteile zum Teil mit Abschlägen von 10% gehandelt werden. Der Börsenkurs in Hamburg des "Hausinvest" beispielsweise liegt bei 39,32 Euro, während der Anteilwert mit 43,71 Euro angegeben wird. Um die Verluste zu begrenzen, lautet der Rat von Finanztip: „Eine Strategie könnte sein, einen Teil über die Börse und einen Teil über die KAG zu verkaufen, um so einen Mittelwert zu erreichen.“
Die Empfehlung von Finanztip ist in der Branche allerdings umstritten. „Generell sind Immobilienfonds als Langzeitinvestment konzipiert, die stabile Erträge erwirtschaften sollen. Aus dieser Perspektive macht ein Handel über die Börse grundsätzlich keinen Sinn“, sagt Beyerle und verweist darauf, dass der Börsenhandel mit den Fondsanteilen auch nie richtig in Schwung gekommen sei.
Ali Masarwa, EnvestorFinanztip ruft zum Run auf offene Immobilienfonds auf.
„Finanztip ruft zum Run auf offene Immobilienfonds auf“, empört sich Fondsexperte Ali Masarwah von Envestor. Wenn Hunderttausende von Finanztip-Lesern ihre Fondsanteile kündigen würden, könnte das zur Zeitbombe für offene Immobilienfonds werden, wie seine Warnung lautet. Dann könnten offene Immobilienfonds genauso implodieren, wie es in den vergangenen 20 Jahren bereits zweimal passiert sei. Dann wäre die Verkaufsempfehlung von Finanztip eine sich selbst erfüllende Prophezeiung gewesen, meint Masarwah.
Auch Beyerle warnt: „Man kann einen Massenansturm, eine Herdenbewegung natürlich nicht ausschließen, und die Anbieter offener Immobilienfonds müssen schon im Blick haben, dass Social Media eine völlig neue Dynamik unter Anleger entfalten kann. Deshalb ist es wichtig, Anlegern gute Argumente an die Hand zu geben, warum sie nicht verkaufen sollten.“ Die Fonds hätten oft die Funktion des Airbags im Portfolio und könnten Stabilität geben.
Viele Altanleger
Die gesetzliche Reform offener Immobilienfonds hat aus Sicht der Branche die Produktgattung seit 2013 deutlich sicherer gemacht. Haltedauer und Kündigungsfrist waren eingeführt worden, nachdem 2005 und 2008 ein massenhafter Verkauf zur Schließung und später zur Abwicklung von vielen Fonds geführt hatte. In einem illiquiden Segment wie dem Immobilienmarkt sollte es keine tägliche Liquidität mehr geben. Gleichwohl gelten die Regeln im Prinzip nicht für Altanleger, die ihre Anteile vor Mitte 2013 gekauft haben. Zahlen, wie groß dieser Altbestand ist, gibt es nicht.
Rechnet man die Nettomittelzuflüsse der offenen Immobilienfonds von 2013 bis 2023 zusammen, ergibt das einen Wert von 62 Mrd. Euro. Gemessen an einem gesamten Fondsvermögen von 132 Mrd. Euro könnte der Altbestand also auch heute noch relativ groß sein. Würden viele Altkunden ihre Anteile tatsächlich zurückgeben, könnte es für Fonds ungemütlich werden.