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Verschärfte Prüfungspflicht bei Wohnimmobilienkrediten

Von Thomas List, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.7.2016 Zwei Kreditinstitute bleiben am Ende übrig. Für Familie Neu (Name von der Redaktion geändert) wurde es auch höchste Zeit, aus der Dreizimmerwohnung rauszukommen - nach der Geburt des dritten...

Verschärfte Prüfungspflicht bei Wohnimmobilienkrediten

Von Thomas List, FrankfurtZwei Kreditinstitute bleiben am Ende übrig. Für Familie Neu (Name von der Redaktion geändert) wurde es auch höchste Zeit, aus der Dreizimmerwohnung rauszukommen – nach der Geburt des dritten Kindes. Nach längerer Suche war ein Haus im Speckgürtel einer deutschen Großstadt gefunden. Eine Finanzierung musste her. Nach einem intensiven Vergleich der Konditionen blieben zwei regional verankerte Banken übrig. Herr Neu erstellte aufgrund seiner Erfahrungen einen Plan mit den durchschnittlichen monatlichen Ausgaben für die gesamte fünfköpfige Familie und stellte sie seinem Gehalt als (vorläufig) einzige Verdienstquelle gegenüber. Der Saldo reichte aus, um die gewünschte Kreditsumme dauerhaft zu finanzieren. Einmal ja, einmal neinBank A akzeptierte die Kalkulation von Herr Neu, da sie auch ihren Erfahrungswerten entsprach. Nicht so Bank B. Seit kurzem, so der Berater, gelte hierzulande die Wohnimmobilienkreditrichtlinie, die auch in seinem Institut umgesetzt werden müsse. Nach dem neuen, strengeren Berechnungsschema seien die monatlichen Ausgaben einer fünfköpfigen Familie um mehrere hundert Euro höher anzusetzen. Damit wäre ein einfacher, grundpfandrechtlich gesicherter Immobilienkredit zu Standardkonditionen nicht zu finanzieren. Für Herrn Neu kein Problem. Er schloss den Kreditvertrag mit Bank A ab.In der Tat ist das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften” am 21. März 2016 in Kraft getreten. Die Richtlinie 2014/17/EU soll die Verbraucher stärker schützen und für verlässliche Standards bei der Kreditvergabe sorgen. Neu geregelt werden im Gesetz die Werbung über die vorvertraglichen Informationen, die Beratung der Kreditnehmer, die Kreditentscheidung und die Verwaltung der Bestandsdarlehen. Das gilt insbesondere für Immobiliendarlehen, in abgeschwächter Form, aber auch für Verbraucherdarlehen allgemein.Verschärft wurden die Vorgaben zur Kreditwürdigkeitsprüfung. Ein Kredit darf jetzt nur noch vergeben werden, “wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung hervorgeht, (…) dass es bei einem Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag wahrscheinlich ist, dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen (…) aus dem Darlehensvertrag (…) nachkommen wird” (§ 505a BGB).Damit verändere sich die Landschaft für Kreditfinanzierungen, ließ der Sparkassenverband Bayern im März verlauten. Die Kreditvergabe unterliege zukünftig engeren Grenzen: “Wer eine Finanzierung bei der Sparkasse abschließen will, wird künftig mehr Informationen im Vorfeld und Dokumentationen während der Beratung erhalten”, sagte Verbandspräsident Ulrich Netzer. “Er muss aber auch eine aufwendigere und strengere Kreditwürdigkeitsprüfung durchlaufen, die ab heute gesetzlich vorgegeben ist.” Das laufende EinkommenFür Darlehensentscheidung und -konditionen spiele es künftig eine zentrale Rolle, ob der Kreditnehmer das Darlehen über die gesamte Laufzeit aus seinem laufenden Einkommen bedienen könne. Es komme nicht auf den Wert der Immobilie, sondern entscheidend auf die liquiden Mittel an. Zwar habe man auch bisher schon auf eine verantwortungsbewusste Kreditvergabe geachtet. “Im Einzelfall kann es aber dazu kommen, dass ein Vorhaben, das früher noch finanziert worden wäre, abgelehnt werden muss”, warnte Netzer. Da gelte insbesondere bei solchen Engagements, bei denen bisher das bestellte Grundpfandrecht als Sicherheit ausreichte und jetzt laufende Einkommen zur Bezahlung der Kreditverpflichtungen nachgewiesen werden müssten.In die gleiche Kerbe schlägt der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) und spricht in einer ersten Bewertung der Praxis des deutschen Umsetzungsgesetzes von “gravierenden Problemen”. Die Voraussetzung für die Kreditvergabe, nämlich dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag “wahrscheinlich” vertragsgemäß nachkommen kann, sei zwar grundsätzlich vernünftig, führe jedoch in Einzelfällen dazu, “dass Banken wirtschaftlich vertretbare Kreditwünsche von Kunden in bestimmten Lebenssituationen nicht mehr bedienen dürfen”.So müsse die Bank z. B. einen Kreditwunsch zum altersgerechten Umbau des Wohneigentums ablehnen, wenn der Kredit nicht innerhalb der statistischen Lebenserwartung zurückgezahlt werden könne – auch wenn das voraussichtlich verbleibende Restdarlehen bei weitem durch den Wert der Immobilie abgedeckt sei. “Der BVR hält es daher für dringend erforderlich, dass der deutsche Gesetzgeber die in der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie möglichen Ausnahmen auch anwendet.”Eine Umfrage bei einigen Kreditinstituten über erste Praxiserfahrungen zeigt weniger dramatische Ergebnisse. Die Frankfurter Volksbank sieht sich in ihrer bereits praktizierten Vorgehensweise bestätigt. “Durch die Wohnimmobilienkreditrichtlinie wurden viele von der Frankfurter Volksbank bereits seit langer Zeit praktizierten Standards in Gesetzesform gegossen und formalisiert”, sagte ein Sprecher der Börsen-Zeitung. Allerdings habe die “formalere Herangehensweise zu aufwendigeren Abwicklungsprozessen mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand geführt”.Die Nassauische Sparkasse (Naspa) in Wiesbaden ist nach eigenen Angaben “nach sorgfältiger Vorbereitung ohne größere Schwierigkeiten in den neuen Baufinanzierungsalltag gestartet”, so eine Sprecherin. Der Beratungsprozess ist bei der Naspa zeitaufwendiger geworden, insbesondere durch die Dokumentation der Beratungsinhalte sowie der Kapitaldienstprüfung und entsprechenden -bewertung über die gesamte Darlehenslaufzeit. Der Mehraufwand sei durch eine effizientere Strukturierung des Beratungsprozesses aufgefangen worden, heißt es.Deutlich optimistischer zeigt sich die Hamburger Sparkasse. “Da wir immer schon auf eine nachhaltige Tragbarkeit der Finanzierungsrate geachtet haben, gehen wir davon aus, dass es grundsätzlich auch nicht zu mehr Ablehnungen kommt”, sagte ihre Baufinanzierungsexpertin Ulrike Zobel. Bitte abwartenLetztlich dürfte erst in einigen Monaten klarer werden, ob die Vergabe von Immobilienkrediten restriktiver geworden ist. Es muss sich dann zeigen, ob es tatsächlich einen generellen Trend gibt oder ob es nicht doch (weiterhin) starke Unterschiede in der Vergabepraxis von Institut zu Institut und von Filiale zu Filiale gibt. Es würde gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase schon sehr überraschen, wenn Herr Neu nicht auch in Zukunft gute Chancen auf einen Immobilienkredit zu guten Konditionen hätte.