Extremwetterschäden

Versichererpflicht ist der beste Schutz

Die Assekuranz strebt eine Versichererpflicht zum Schutz vor Elementarrisiken an. Das Modell hat rechtliche und praktische Vorzüge.

Versichererpflicht ist der beste Schutz

Auch ein Jahr nach der Flutkatastrophe „Bernd“ hat das Elementarschaden-Risiko für private Wohnimmobilienbesitzer nicht an Relevanz ver­loren. Gerade die regional verwurzelten und zur Sparkassengruppe gehörenden öffentlichen Versicherer beschäftigen sich intensiv damit, denn mit rund 30% Marktanteil sind sie Marktführer in der Wohngebäudeversicherung. „Bernd“ ist eine – gelingende – Bewährungsprobe der Versicherungswirtschaft: Trotz Handwerker- und Baumaterialmangels sind bereits drei Viertel der Schäden reguliert. Rund 5 Mrd. Euro des Gesamtschadenaufwandes von 8,5 Mrd. Euro wurden schon als Leistungen ausgezahlt. Die öffentlichen Versicherer haben den Stresstest für ihre Bilanzen gut bestanden und stehen weiterhin fest zu diesem Geschäftsfeld und ihren Kundinnen und Kunden.

Während nahezu 100% der Wohngebäude gegen Feuer versichert sind, besteht nur für rund die Hälfte auch eine Versicherung gegen Elementarrisiken wie Starkregen und Hochwasser. Immerhin hat sich die Versicherungsdichte in 20 Jahren von ca. 17% auf knapp 50% fast verdreifacht. Doch dies ist noch zu wenig, denn die Versicherungslücke führt bei Extremwetterereignissen mit medialer Berichterstattung zum „Samariter-Dilemma“: Eigentlich müssten sich die Landesregierungen an ihre Verlautbarungen halten, keine Hilfen mehr an Bürger zu zahlen, die bezahlbaren Versicherungsschutz hätten erhalten können. Und den gibt es für mehr als 99% der Fälle! Tatsächlich sah sich die Politik aber gezwungen, Hilfsgelder pauschal für alle zu gewähren. So folgte auf „Bernd“ die „Aufbauhilfe 2021“ mit 28 Mrd. Euro – hälftig von Bund und Ländern finanziert. Gewiss keine Dauerlösung.

Regulierung soll kommen

Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich daher Ende Juni für die Einführung einer Pflichtversicherung für alle Wohngebäudebesitzer gegen Elementarschäden ausgesprochen. Die Bundesregierung hat sie gebeten, bis Jahresende einen Regulierungsvorschlag vorzulegen. Dies hat jedoch zwei gravierende Haken: einen rechtlichen und einen praktischen. Eine Elementarversicherung ist nicht vergleichbar mit der gesetzlichen Kfz-Haftpflichtversicherung. Die Elementarversicherung dient nicht dem Schutz Dritter, sondern lediglich der Absicherung privaten Eigentums, wofür jeder selbst verantwortlich ist. Die Länder-Justizminister haben daher einräumen müssen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Pflichtversicherung allenfalls in sehr engen Grenzen und nur zur Absicherung existenzvernichtender Risiken zulässig wäre. Entsprechend hoch müssten die Selbstbehalte für die Versicherten sein, so dass das Samariter-Dilemma bestehen bliebe. Das praktische Problem besteht darin, dass ohne konsequente staatliche Kontrolle und Sanktion eine Pflichtversicherung ihr Ziel erst recht verfehlt. Wollen Bund und Länder tatsächlich den mit der Grundsteuerreform kämpfenden Finanzverwaltungen der Kommunen zusätzlich noch die aufwendige Versicherungskontrolle der Besitzer von 20 (!) Millionen Wohnimmobilien aufbürden?

Die Versicherungsbranche hat ein alternatives Lösungsmodell vorgelegt, das die Nachteile vermeiden würde: eine Elementarschaden-Versichererpflicht. Alle Versicherer würden im Neugeschäft Wohngebäudeversicherungen nur noch mit integriertem Elementarschutz anbieten. Sie wären zugleich verpflichtet, allen Bestandskunden bis zu einem festen Stichtag ein Angebot für eine Erweiterung ihrer Wohngebäudeversicherung auf Elementarrisiken zu unterbreiten. Sofern dagegen nicht aktiv widersprochen wird (Opt-out), kommt es zur automatischen Vertragsanpassung. Grundlage für diesen einmaligen „Schweigen als Zustimmung“-Mechanismus wäre eine gesetzliche Zustimmungsfiktion, wie sie das bürgerliche Recht auch an anderen Stellen kennt.

Hohe Versicherungsdichte

Dieses Modell wäre erstens ein geringerer Grundrechtseingriff, weil mit der Opt-out-Möglichkeit kein harter Zwang ausgeübt wird. Zweitens würde trotz Opt-out-Option die Versicherungsdichte signifikant steigen und sich schlagartig in Richtung 100% entwickeln. Aus der Verhaltensökonomik weiß man, wie wirksam solche „Nudging“-Ansätze sind. Aufgrund der deutlich niedrigeren Selbstbehalte wäre zudem der individuelle Abdeckungsgrad viel höher als im Fall einer Versicherungspflicht. Und drittens ist die Kontrollthematik gelöst: Verpflichtet wäre in diesem Modell nur eine dreistellige Zahl von Versicherungsunternehmen, die der bewährten Kontrolle durch die Finanzaufsicht BaFin unterliegen.

Da Extremwetterereignisse wegen des Klimawandels merklich zunehmen werden, bedarf diese Versichererpflicht jedoch einer doppelten staatlichen Flankierung. Versicherungsleistungen können nur die privaten materiellen Schäden ersetzen, nicht jedoch den Verlust immaterieller Güter oder die Schäden an Leib und Leben. Dazu bedarf es dringend eines deutlichen Ausbaus der staatlichen Präventionsmaßnahmen wie bessere Frühwarnsysteme, mehr Wasser-Rückhaltemöglichkeiten oder Einschränkungen bzw. Verbote von Baulandausweisungen. Schadenverhinderung hat Vorrang vor Schadenregulierung! Ferner muss im Fall eines ganz außergewöhnlichen, weit über „Bernd“ hinausgehenden katastrophalen Schadens der Staat unterstützen (eine sogenannte „Stop-loss-Regelung“). Diese Doppelflankierung wäre übrigens genauso erforderlich bei der von der Ministerpräsidentenkonferenz anvisierten Pflichtversicherung für Gebäudebesitzer.

Die Versicherungsbranche hat umsetzbare und zielführende Vorschläge zur schnellen und ganz erheblichen Steigerung der Versicherungsquote gegen Elementarrisiken vorgelegt. Nun liegt es an Politik und Wirtschaft, dieses Konzept weiter zu diskutieren.

Wolfgang Wiest ist Hauptgeschäftsführer des Verbands öffentlicher Versicherer.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.