Viele Köche verderben den Brei
Viele Köche verderben den Brei
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Carlos Slim ist in der europäischen Telekombranche kein Unbekannter. Der mexikanische Milliardär, der das Geschäft durch sein eigenes Unternehmen América Móvil gut kennt, ist der jüngste Neuzugang eines strategischen Investors im Aktionärskreis von BT Group. Vor Jahren war er allerdings bereits bei zwei ex-staatlichen europäischen Telekomnetzbetreibern groß eingestiegen: zuerst bei KPN, dann bei Telekom Austria. In beiden Fällen nutzte Slim eine durch geschäftliche Probleme ausgelöste Kursschwäche. Bei KPN scheiterte die Komplettübernahme, Slim stieg wieder aus, an Telekom Austria hält er heute die Mehrheit. Auch der Einstieg bei BT Group folgte auf einen längeren Kursrückgang, den Slim für den Erwerb von 3,16% nutzte.
Kein Einzelfall
Die Einkaufstour des Mexikaners in der Branche ist kein Einzelfall. Die Aktien europäischer Telekomunternehmen haben sich seit Jahren deutlich schlechter entwickelt als die Titel anderer Sektoren. Das blieb vor allem strategischen Investoren nicht verborgen, die vielerorts zu niedrigen Bewertungen zugegriffen haben. So ist bei BT Group neben der Deutschen Telekom, die ein 12-Prozent-Paket beim Verkauf ihrer Hälfte der Mobilfunkfirma EE an BT erwarb, auch die vom Milliardär Patrick Drahi kontrollierte Altice UK beteiligt. Drahi hat seine Beteiligung in mehreren Stufen auf 24,5% erhöht und kratzt damit an der Schwelle zur Sperrminorität.
Beim Wettbewerber Vodafone geht es noch turbulenter zu im Aktionärskreis. Dort hat der arabische Konzern e& ein Paket von 14% aufgebaut, der Kabelkonzern Liberty Global, der Vodafone hierzulande Unitymedia für einen zweistelligen Milliardenbetrag verkauft hat, sicherte sich anschließend für einen dreistelligen Millionenbetrag knapp 5% an dem Mobilfunkriesen. Auch der französische Milliardär Xavier Niel war vor einiger Zeit mit 2,5% eingestiegen. Außerdem tummelte sich Gerüchten zufolge der schwedische Aktivist Cevian zumindest einige Zeit im Investorenkreis von Vodafone.
Schattenseite des Andrangs
Während das Management sich genötigt sieht, jeden Aktionär willkommen zu heißen, als vermeintlichen Beweis für die Attraktivität der eigenen Aktie, sind bei einer bunten Mischung von Anteilseignern Interessenkonflikte untereinander und auch mit dem Management programmiert. Marc Renner, Telekommunikationsexperte und Partner bei Oliver Wyman, verweist deshalb auf die Schattenseiten des Investorenandrangs: „Wenn immer mehr Investoren Mitsprache einfordern, besteht die Gefahr, dass sich das Management nicht mehr an den wesentlichen geschäftlichen Treibern, sondern an Einzelinteressen orientiert. Das führt mitunter zu Entscheidungen, die nicht langfristig zum Besten des Unternehmens sind.“
Offensichtlich wurde ein solcher Konflikt bei Vodafone, als es um den Verkauf der Aktivitäten in Italien ging, für die die von Xavier Niels Investmentgesellschaft kontrollierte Telekomfirma Iliad geboten hatte. Am Ende setzte sich das Management durch: Vodafone Italia ging an die Swisscom-Tochter Fastweb, deren Angebot in Summe höher bewertet wurde. Das Problem besteht allerdings nicht nur in abweichenden Interessen einzelner Investoren, sondern auch darin, dass viele Anleger eben von einer geschäftlich bedingten Kursschwäche angelockt werden. „Sie versuchen dann oft, mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen, dem Kurs auf die Sprünge zu verhelfen, um ihr Investment rentabel zu machen“, so Renner. Dazu zählten nicht selten „wenig zielführende Sparrunden und häufige Managementwechsel. Das kostet am Ende aber nur Vertrauen, beim Kunden und dann auch an der Börse“, warnt der Manager.
Prominentes Beispiel für eine eklatante Wertvernichtung durch ständige Querelen im Aktionärskreis ist auch Telecom Italia. Dort gaben sich über Jahre die CEOs die Klinke in die Hand, weil eine langfristig ausgerichtete Strategie im Konsens mit Großaktionär Vivendi nicht zu erreichen war. Währenddessen stockte der Umsatz, der erdrückende Schuldenberg blieb, am Ende folgte ein Befreiungsschlag durch die Abtrennung des Festnetzes, dessen Folgen noch nicht klar zu erkennen sind.
Kaum Kursauftrieb
Offen sind auch die Auswirkungen, die der Einstieg des arabischen Wettbewerbers STC bei Telefónica zeitigen wird. Unmittelbar spürbar ist die Reaktion des spanischen Staates, der sich mit 10% engagierte, flankiert von der Stiftung Criteria Caixa, die ihre Beteiligung ebenfalls ausbaute. Den Kurs haben die Bewegungen im Aktionärskreis bisher nur mäßig berührt. Seit dem Einstieg von STC zeigt sich an der Börse ein Plus von gerade mal 2%.
Hohe Nachfrage
Renner räumt ein, dass die Berater die europäischen Telekomfirmen „an der Börse als unterbewertet einstufen. Da sehen wir Potenzial.“ Die Branche selbst ist schnell dabei, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn es um die Ursache für die Kursmisere geht. Am Pranger stehen vor allem die großen OTT-Player wie Google, Netflix oder Meta, die ihre Dienste und ihren Content über Telekominfrastruktur abwickeln, die die Netzbetreiber aus ihren Investitionsbudgets finanzieren müssen. Die OTT-Player schöpfen Gewinne ab, ohne sich an den Kosten der Infrastruktur zu beteiligen, so die lautstarke Kritik der Telekomunternehmen. Tatsächlich gelingt es den Konzernen laut Renner häufig nicht, aus der an sich starken Nachfrage nach ihren Produkten Kapital zu schlagen. „Hochbitratige Datenverbindungen, intelligente Netzleistungen, Systemintegration, das alles ist ja extrem nachgefragt.“ Trotzdem gelinge es nicht allen Unternehmen, „sich operativ so aufzustellen, dass sie diese Nachfrage so bedienen können, dass es für die Kunden maßgeschneidert und für sie selbst rentabel ist“.
Als Beispiel nennt Renner die mangelhafte Monetarisierung investiver Kraftakte in der Infrastruktur wie Glasfaser oder 5G. Gerade bei Geschäftskunden (B2B), die hohe Bandbreiten eher brauchen als der Privatkunde, gerieten die Telekomfirmen gegenüber anderen ins Hintertreffen. „Die Telekomausrüster können den Kunden direkt oft bessere Angebote machen.“ Infolgedessen ist die Misere im B2B-Geschäft bei allen großen Playern die gleiche. Deutsche Telekom, Orange und vor allem BT Group, die ihren Fokus darauf gelegt hat, kämpfen mit Preis- und Umsatzdruck sowie Margenverfall, vor allem in der klassischen Systemintegration.
Aber auch im Privatkundengeschäft stehen die Anbieter von Glasfaser vor strategischen Herausforderungen. „Die Uptake-Raten sind noch auf einem zu niedrigen Niveau“, so Renner. Ob diese und andere Herausforderungen bald gemeistert werden können, wenn sich allzu viele Beteiligte beim Management Gehör verschaffen können, ist zweifelhaft.