Brüssel

Von der Leyens letzte Chance

Mitte September wird Ursula von der Leyen in Straßburg wieder ihre vielbeachtete „Rede zur Lage der Union“ halten. Es dürfte die letzte Chance sein, noch einmal neue Ideen auf den Tisch zu bringen, die noch in dieser Legislatur abgeschlossen werden können.

Von der Leyens letzte Chance

Zu den wichtigsten Terminen, die der Brüsseler Kalender so zu bieten hat, gehört sicherlich die „Rede zur Lage der Union“, in der der Präsident oder die Präsidentin der EU-Kommission nach der Sommerpause eine Bestandsaufnahme und einen Ausblick auf die Gesetzesinitiativen der nächsten zwölf Monate vorlegt. Die Arbeiten an dieser Rede beginnen in der Kommission Monate im Voraus. Bereits im Juni finden erste Abstimmungen statt, in denen die Kabinette der EU-Kommissare ihre Vorschläge und Beiträge präsentieren. Es ist ein Wettbewerb der Ideen. Aber natürlich geht es auch um persönliche Ambitionen und Eitelkeiten der Ressortchefs.

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Die diesjährige „Rede zur Lage der Union“ ist für den 14. September geplant, wie üblich im Europaparlament in Straßburg. Für Ursula von der Leyen ist es die dritte derartige Ansprache. Nummer drei von fünf – dies bedeutet eigentlich Halbzeit. In Wahrheit ist es aber die letzte Chance für die Kommissionschefin, in ihrer jetzigen Amtszeit noch etwas zu reißen. Denn Gesetzesinitiativen, die nicht bis Jahresende auf dem Tisch liegen, haben keine wirkliche Chance mehr, noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen zu werden. Von der Rede im nächsten Jahr bis zum Start des Wahlkampfs zur Europawahl 2024 sind es nur noch wenige Monate, in denen nicht mehr viel passiert. Und 2024 könnte schon von der Leyens Abschiedsrede anstehen – außer sie erhält ein neues Mandat für weitere fünf Jahre. Aber das ist noch völlig offen.

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Auf der einen Seite wird nämlich in Brüssel immer noch diskutiert, wie bei der nächsten Wahl der sogenannte Spitzenkandidatenprozess organisiert wird. Und auf der anderen Seite müsste sich Ursula von der Leyen auch innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) erst einmal durchsetzen. Natürlich hat sie einen ziemlich großen Amtsbonus. Aber der EVP-Spitzenkandidat von 2019, Manfred Weber (CSU), der mittlerweile nicht nur Fraktions-, sondern auch Parteichef ist, dürfte auch noch ein Wörtchen mitreden wollen. Und dann gibt es ja auch noch christdemokratische Schwergewichte wie die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola aus Malta, die mit ihrer klaren und durchsetzungsstarken Art zuletzt viele Freunde gewonnen hat.

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Aber auch die politische Konkurrenz ist mit Blick auf die nächste Europawahl noch unsortiert. Die Ex-Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten (Frans Timmermans) und Liberalen (Margrethe Vestager) haben herausgehobene Positionen in der Von-der-Leyen-Kommission, zeigen sich hier aber längst nicht in Bestform. Timmermans verantwortet mit dem Klimapaket „Fit for 55“ zwar eines der zentralen Dossiers der laufenden Legislatur, bleibt dabei aber irgendwie blass. Und Vestagers Glanz hat unter den zahlreichen Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof gelitten. Nachdem Intel nach gewonnenem Prozess nicht nur die Geldbuße zurückgefordert hat, sondern auch noch 593 Mill. Euro an Zinsen, musste Vestager in einem Brief an den EU-Abgeordneten Markus Ferber jetzt einräumen, dass es noch mindestens zwei weitere Fälle gebe, bei denen die Gefahr von erheblichen Rückzahlungsforderungen bestehe. „Dass die Europäische Kommission regelmäßig hochkarätige Wettbewerbsfälle verliert, ist nicht nur peinlich, sondern wird langsam auch zum Haushaltsrisiko“, so Ferber in Richtung Vestager.

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Dass dieses Thema auch Einzug in die diesjährige „Rede zur Lage der Union“ erhält, ist wenig wahrscheinlich. In dieser wird von der Leyen eher darauf abzielen, wie die EU vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine krisenresilienter und weniger abhängig aufgestellt werden kann. Vor einem Jahr waren Beobachter von der Rede der CDU-Politikerin in Straßburg eher enttäuscht, enthielt sie doch nur wenig frische Ideen. Wie es dieses Mal wird, bleibt abzuwarten. Die Erwartungen sind hoch wie immer. Und auch von der Leyen weiß: Es ist die letzte Chance, in dieser Legislatur noch etwas zu reißen.