Notert in BrüsselSubkultur

Von Jacques Brel zu Eddy Merckx

Kein Louvre, keine Sixtinische Kapelle. Aber farbenprächtige Graffiti, schwebende Skulpturen und Tim-und-Struppi-Geschichten in den Metro-Stationen. In Brüssel finden Kunstfreunde viel Ansehnliches im Untergrund.

Von Jacques Brel zu Eddy Merckx

Notiert in Brüssel

Von Jacques Brel zu Eddy Merckx

Von Detlef Fechtner

Wenn es um Hochkultur geht, dann kann Brüssel mit anderen europäischen Hauptstädten nur schwerlich mithalten. Brüssel hat keinen Louvre, keine Sixtinische Kapelle, kein Burgtheater. Aber was die Subkultur angeht, ist Brüssel ganz vorne mit dabei. Nirgendwo sonst gibt es vergleichbar kuriose Veranstaltungen. Sei es die jährliche Zinneke-Parade, einer Huldigung an Kellerasseln und anderes Ungeziefer. Eine Straßenparty, die sich als Mischung aus Rosenmontagszug und Love Parade präsentiert. Sei es der Parcours St. Gilles, bei dem in einem gar nicht so betuchten Stadtteil von jetzt auf nun Dutzende "Galerien" eröffnen. Denn jeder, der etwas Künstlerisches beizutragen hat, öffnet seine Haustür und klebt sich einen bunten Tupfer an die Hauswand, was automatisch als offene Einladung an alle, die vorbeispazieren, gilt, die Kunstwerke zu bestaunen.

Die Liste ließe sich fortsetzen, beispielsweise auch mit dem mittlerweile grauhaarigen Anarchisten, der die Presse alljährlich vor den Königspalast einlädt, eine flammende Rede gegen jede Form von Autorität und Regel hält und dann versucht, den Palast zu erstürmen. Daran allerdings hindern ihn drei Polizisten, die den Rebell seit Jahren gut kennen, ihn anschließend festnehmen und nachmittags wieder entlassen.

Metro-Stationen in Bunt

Subkultur – fast schon im wortwörtlichen Sinn – ist in Brüssel aber auch täglich in den Metro-Stationen zu begutachten. Seien es die farbenprächtigen Graffiti in der Station "Hankar" oder die hängenden und fliegenden Lebewesen aus Gips und Bronze in der Haltestelle "Graaf van Vlaanderen". Und wer es lieber natürlich möchte: In der Station "Vandervelde" kann der Betrachtende rasch der Illusion erliegen, er sitze in einem Erdloch auf einer Blumenwiese, neben ihm plätscherten kleine Bäche und flögen Schmetterlinge durch die Gegend, denn der Maler Paul de Gobert hat eine idyllische Landschaft auf die Mauern gezeichnet, die man quasi von innen wahrnimmt. Der künstlerische Höhepunkt ist schließlich in der Endhaltestelle "Stockel" zu bewundern. Hier hat Hergé, der Schöpfer von Tintin (Tim und Struppi), die Station gestaltet. Wer die Comic-Helden auf ihren Abenteuern begleiten will, der sollte mindestens zwei oder drei Metros abfahren lassen, denn die Zeichnungen auf den Wänden bieten Unterhaltung für mindestens eine halbe Stunde.

Klassisch belgisch ist übrigens auch die Namensgebung der Stationen. Die Zahl der Politiker, die mit ihrem Namen Pate standen, ist überschaubar. Viel häufiger sind Künstlerinnen und Künstler verewigt: der Bildhauer Louis-Eugène Simonis, der Komponist Georges Bizet, der Dichter Nicolas Boileau, der Art-Nouveau-Künstler Georges Henri oder der Architekt Victor Horta. Und natürlich der Sänger und Volksheld Jacques Brel. Um bösen Überraschungen vorzubeugen: Brel-Fans sollten sich den Weg nach Anderlecht sparen. Es gibt in der nach ihm benannten Station nichts, was an den Chansonnier erinnert. Dann lieber nach "De Brouckère", denn in den Gängen dort finden sich zumindest noch einige Liedtexte.

Übrigens stößt man bei der Recherche über die Herkunft der Namen der Metrostationen auch auf sehr schlichte Zusammenhänge. "De Pannenhuis" etwa hat den Namen von einer dort beheimateten Kneipe geerbt. Das ist gerade so, als wenn die S-Bahn in Frankfurt in einer Station namens "Kanonesteppel" oder "Gemaltes Haus" hielte.

Und natürlich haben die Brüsseler Verkehrsbetriebe nicht vergessen, den berühmtesten und zugleich beliebtesten Sportler des Landes mit einer Metro-Station zu bedenken: die Radfahrerlegende Eddy Merckx. Eingefleischten Merckx-Fans kann man den Weg – ebenfalls nach Anderlecht – durchaus empfehlen. Denn in der B-Ebene steht das Fahrrad ausgestellt, mit dem Merckx in den Siebzigern den Stundenweltrekord gefahren ist. Allerdings, und hier wird die Sache wieder sehr belgisch, ist das Schauobjekt recht lieblos in einer schmucklosen Vitrine zu bewundern. Wie angedeutet: Mit Ornament und Feierlichkeit haben es die westlichen Nachbarn nicht so.

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