Von Mehltau befallen
Das war der Jahrgang 2016. “Grands Crus” sind kaum dabei. Der Ernteertrag fällt spärlich aus und der ein oder andere Tropfen stößt dem Käufer schon sauer auf. Bescheidenes Bukett, überschaubarer Extrakt. Der Witterungsverlauf, das Klima, spielt eine wichtige Rolle, ebenso der Ausbau. Die Qualität ist auch in Spitzenlagen volatil. Das Produkt ist schließlich keine Massenware. Gerade darin liegt der Reiz für den Kenner. Dazu kommt, dass auch die spätere Reifung nur sehr bedingt prognostizierbar ist. Die Rede ist nicht von Riesling, Silvaner & Co., sondern einer so trockenen Materie wie Börsenneulingen.Das Jahr ist so gut wie gelaufen mit gerade einer Hand-voll Unternehmen, die den Kurszettel im Prime Standard verlängert haben: Brain (Biotech) und Senvion (Windanlagenbau) im Frühjahr, Vaqtec (Vakuumisolation), die RWE-Abspaltung Innogy und Shop Apotheke nach der Sommerpause. Macht zusammen ein Emissionsvolumen von 5,5 Mrd. Euro. Das sieht verglichen mit den gut 7 Mrd. Euro des Vorjahres zwar gar nicht schlecht aus. Doch entfallen allein auf Netzbetreiber und Ökostromerzeuger Innogy 5 Mrd. Euro – ein “Must-have” aus Investorensicht. Dies ist das drittgrößte IPO in Deutschland überhaupt und der größte europäische Börsengang aus Europa seit dem des Rohstoffhändlers Glencore 2011. Zum Vergleich: In dem im Rückblick nahezu goldenen Herbst 2015 kamen mit Covestro, Scout 24, Schaeffler und Hapag-Lloyd gewichtige, bekannte Namen. Die Bayer-Kunststoffabspaltung Covestro ist mit einem Kursgewinn von weit über 100 % der europaweit am besten performende größere Neuling.Mit der IPO-Flaute in diesem Jahr steht Frankfurt nicht alleine da: Das IPO-Volumen könnte 2016 auf dem niedrigsten Stand seit 2009 herauskommen. Auf ein infolge des niedrigen Ölpreises und Ängsten vor einer harten Landung in China verhageltes erstes Quartal 2016 folgten die Brexit-Befürchtungen, was erneut zu Attentismus führte. Zahlreiche Unternehmen zogen es in diesem Umfeld vor, ihre Pläne für einen Börsengang zu verschieben und auf bessere Zeiten zu warten. Nach der Entscheidung der Briten erholte sich der Markt dann aber erstaunlich schnell und Investmentbanker witterten Morgenluft – dieses Fenster nutzte Innogy und hat – nach einem holprigen und ruckeligen Start – inzwischen am Markt Tritt gefasst. Doch die Verunsicherung über die Geldpolitik von EZB und US-Notenbank und vor allem Perspektiven der amerikanischen Präsidentschaftswahl mit dem Horrorkandidaten Donald Trump lassen Investoren auf die Bremse treten – wiewohl die Volatilität am Sekundärmarkt niedrig ist. Niemand weiß, wie es nach dem 8. November weitergeht – da will kein Emittent seine Bücher öffnen. Insofern trogen Hoffnungen, zum Jahresende hin werde der IPO-Markt an Dynamik gewinnen und es ließen sich in Frankfurt erneut um die zehn IPOs platzieren.Auch in London sind gerade reihenweise Transaktionen abgesagt oder abgespeckt worden. Investoren verschließen sich Newcomern aber nicht ganz und gar, aber sie sind stärker preissensitiv und verlangen einen höheren Abschlag zu gelisteten Rivalen. Wenn Hedgefonds diesen Discount – wie im Fall von Officefirst – nicht gewähren, fährt der Deal an die Wand. Hinzu kommen die noch immer verbreiteten Ansichten, Unternehmen aus Private-Equity-Portfolios seien zu hoch verschuldet und der Drops sei gelutscht – wiewohl es zahlreiche Gegenbeispiele gibt.Eines der Haupthindernisse für die Eigenkapitalaufnahme ist das Fehlen geeigneter Kandidaten. Die Bilanzen sind gesund, Liquidität lässt sich im Niedrigzinsumfeld ohne Börsengang günstig beschaffen – und für Ausstiegsprozesse bietet der M & A-Markt eine schnelle und transaktionssichere Alternative. Zwar könnten von Private Equity der Leukoplasthersteller BSN Medical, die Siemens-Hörgeräte (Sivantos) oder der Heizkostenableser Ista 2017 kommen. Doch die Pipeline ist überschaubar. Banker setzen nach den Erfolgen von Covestro und Innogy sowie dem Eon-Spin-off Uniper auf Konzernabspaltungen. So plant Metro den Carve-out von Cash & Carry. Denn Konglomeratstrukturen sind out, Investoren wollen sich ihr eigenes Risikoprofil erstellen.Für Sommeliers und Connaisseurs bietet der IPO-Markt insofern auch im nächsten Jahr eher Muff- und Essigtöne statt eines reichen Buketts. Hochgewächse sind kaum zu erwarten. Der Mehltau eines ungewissen Umfelds aus Unsicherheiten in Politik und Weltwirtschaft hat auch den IPO-Markt befallen.——–Von Walther BeckerDer IPO-Jahrgang 2016 ist so gut wie gelaufen. Abgesehen vom Blockbuster Innogy hat er enttäuscht. Und die Perspektiven sind auch nicht gerade rosig.——-