Not fit for 55
Luftverkehr
Not fit for 55
Von Lisa Schmelzer
Die Politik muss für Rahmenbedingungen sorgen, die Investitionen in nachhaltiges Fliegen attraktiv machen.
Man muss kein notorischer Schwarzseher sein, um zu befürchten, dass es nahezu unmöglich sein wird, die Luftfahrtbranche kurz- oder mittelfristig auf Klimaneutralität zu trimmen. Technologische Durchbrüche wie solarbetriebene Flugzeuge oder E-Flieger sind so schnell nicht zu erwarten, und bei der Produktion von nachhaltigem Flugbenzin (SAF) geht es nur tröpfchenweise voran. Die Lage wird noch dadurch verschärft, dass der Luftverkehr nach der Pandemie wieder auf Wachstumskurs ist und alleine schon deshalb mehr und mehr Emissionen ausstößt.
Die Politik in Deutschland hat nun erneut ihre Unterstützung zugesagt. Nachhaltiges Fliegen umzusetzen, dürfe nicht auf Kosten der europäischen Flughäfen und Fluglinien gehen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz gegenüber der Branche beim Nationalen Luftfahrt-Gipfel in Hamburg betont. Der Schutz der heimischen Unternehmen ist indes kaum möglich, wenn vor allem nationale Regelungen über das Wann und Wie hin zu mehr Nachhaltigkeit entscheiden. Die von der EU erdachten Pläne im Rahmen des Klimaschutzpakets „Fit for 55“ etwa machen den Europäern Vorgaben für den Einsatz von nachhaltigem Kerosin, lassen aber den Rest der Branche weitgehend unbehelligt. In der Folge könnte sich etwa Verkehr von Europa in Richtung Mittlerer Osten oder Türkei verlagern. Das schadet der europäischen Branche, aber auch der Umwelt, wenn Umwege anfallen, die höhere Emissionen zur Folge haben.
Synthetische Kraftstoffe sind der wirksamste Hebel zur Dekarbonisierung
Zwar hat sich mittlerweile weltweit die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Einsatz synthetischer Kraftstoffe, die aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, der wirksamste Hebel zur Dekarbonisierung des Luftverkehrs sein wird. Allerdings steht der zur Herstellung benötigte grüne Strom genauso wenig in ausreichendem Maße zur Verfügung wie Anlagen zur industriellen Produktion. So würde die Lufthansa nach eigenen Angaben die Hälfte der gesamten deutschen Stromproduktion benötigen, um ihre Flotte auf grüne Treibstoffe wie E-Kerosin umzustellen. Mit dem derzeit weltweit verfügbaren SAF-Angebot käme die deutsche Airline gerade mal zwei Wochen über die Runden. Beschwörungen wie die des Bundeswirtschaftsministers, man könne aus dem Hochlauf von SAF "einen Vorteil ziehen für den Standort und die Innovationskraft des deutschen Maschinenbaus", helfen wenig, solange ihnen keine Taten folgen.
Es fehlt auch und vor allem an den finanziellen Mitteln, um die SAF-Produktion anzukurbeln und auf industrielles Niveau zu heben. Ohne die Bereitstellung von Kapital durch Banken und Investoren in substanzieller Höhe wird das nicht gelingen. Grundsätzlich dürfte Finanzierungsinteresse da sein, doch unter den aktuellen Rahmenbedingungen sind die Unsicherheiten zu groß, als dass die Finanzbranche tatsächlich einsteigt. Die Risiken eines solchen Investments einzuschätzen, ist nahezu unmöglich, da etwa noch nicht kalkuliert werden kann, wo sich der Preis für grünes Kerosin, das derzeit sechs- bis achtmal so teuer ist wie herkömmliches Flugbenzin, hinentwickeln wird. Auch staatliche Fördermechanismen sind nur vereinzelt vorhanden. Vor diesem Hintergrund werden auch große Ölproduzenten von einer Diversifizierung in Richtung grünes Kerosin eher abgeschreckt.
Anreize für zusätzliche Produktion nachhaltigen Treibstoffs setzen
Experten gehen davon aus, dass der Treibstoffbedarf des weltweiten Luftverkehrs bis 2050 von derzeit 400 Mrd. Liter Kerosin auf 500 Mrd. Liter steigen wird. Wenn bis dahin – wie zumindest in Europa vorgesehen – über 60% davon nachhaltiger Treibstoff sein sollen, müssten dann gut 300 Mrd. Liter des seltenen Guts produziert werden. 2022 waren es rund 300 Mill. Liter. Um die notwendigen Anlagen aufzubauen, könnten Investitionen von mehreren Tausend Milliarden Dollar notwendig sein. Diese Mittel kann die Politik kaum zur Verfügung stellen. Allerdings kann sie Anreize schaffen – für die Fluglinien, mehr SAF zu tanken, und für mögliche Produzenten, mehr grünes Jetfuel herzustellen. In die richtige Richtung weist hier der Inflation Reduction Act in den USA, der Steuervorteile für SAF verspricht. Auch wenn es demgegenüber nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre: Zumindest die Einnahmen aus der deutschen Luftverkehrssteuer sollten in die Förderung der SAF-Produktion fließen.