LeitartikelDeutsche Börse

Vorstand der Börse beherzigt die klassischen Weisheiten

Bei der Schärfung ihrer Strategie setzt die Deutsche Börse auf weitere Diversifizierung der operativen Geschäfte und mehr finanzielle Flexibilität. Anleger haben das goutiert, aber es bestehen auch noch Zweifel.

Vorstand der Börse beherzigt die klassischen Weisheiten

Deutsche Börse

Börsenweisheiten

Von Detlef Fechtner

In diesem Jahr ist längst nicht alles rund gelaufen für die Deutsche Börse. Im Januar etwa beschloss die Hauptversammlung des Gaseherstellers Linde, die Notierung in Frankfurt aufzugeben. Dass es der Deutschen Börse nicht gelungen ist, den schwersten Wert des Dax zu halten, sei "bitter" und "tut weh", räumte Vorstandschef Theodor Weimer damals unverhohlen ein. Ebenfalls alles andere als ideal lief die IPO-Saison. Trotz Ionos, Thyssenkrupp Nucera und Schott Pharma wird 2023 in Frankfurt als einer der schlechtesten IPO-Jahrgänge der jüngeren Vergangenheit in die Statistik eingehen.

Umso bemerkenswerter, dass die Deutsche Börse im laufenden Jahr Umsatz und Gewinn zweistellig steigern wird. So wie übrigens im Schnitt jedes Jahr seit Weimers Antritt im Januar 2018. Gewiss, im laufenden Turnus haben gestiegene Zinsen in Form eines höheren Nettozinsergebnisses im Bankgeschäft kräftig mitgeholfen. Das sollte aber nicht die Leistung der Börse schmälern, aus eigener Kraft spürbar und stetig zu wachsen – und durch gezielte Übernahmen noch einen zusätzlichen Schub zu generieren. Kurz und gut: Der Kern des Geschäftsmodells ist intakt. Erstens, weil die Börse das Glück hat, dass sich der Markt dynamisch entwickelt. Und zweitens, weil die Börse das Geschick hat, ihr Kerngeschäft immer wieder erfolgreich anzupassen.

Letztlich beherzigt der Vorstand in seiner strategischen Steuerung dabei klassische Börsenweisheiten. Etwa, dass man sich nicht an zu großen Engagements überheben sollte. Anders als seine Vorgänger Werner Seifert, Reto Francioni und Carsten Kengeter hat Weimer gar nicht erst versucht, mit einem anderen großen Handelsplatz zu fusionieren – was bekanntlich zuvor stets danebengegangen ist. Auch folgt das Management dem ältesten aller Investorenratschläge, nämlich das Portfolio zu diversifizieren. Die Deutsche Börse hat seit 2019 den Risikomanagement-Dienstleister Axioma gekauft, den Daten- und Researchanbieter ISS erworben, die Softwareschmiede Simcorp übernommen. Mit dem Ergebnis, dass der Anteil der Erlöse aus dem Brot-und-Butter-Geschäft, nämlich dem Handel und der Verrechnung von Wertpapieren, von knapp 60% auf zuletzt nur noch 44% gesunken ist. Während gleichzeitig das Geschäft mit Daten und Analytik den Anteil an den gesamten Umsätzen von 5% auf 17% mehr als verdreifacht hat.

Diesen generellen strategischen Kurs hat der Deutsche-Börse-Vorstand mit dem Programm "Horizon 2026" noch einmal feinjustiert. Die stärkere Verteilung des Umsatzes auf unterschiedliche Geschäftsfelder wird fortgesetzt, die Börse wendet sich noch mehr der Buy-Side zu, um sich unabhängiger vom Handel zu machen. Zudem werden Dienste rund um digitale Assets ausgebaut, weil das Management dort besonderes Wachstum wittert. Fusionen stehen vorerst nicht auf dem Programm, es sei denn, es tut sich eine besondere Gelegenheit auf. Und durch die stärkere Betonung von Aktienrückkäufen gegenüber Dividenden schafft sich der Konzern größere finanzielle Flexibilität – was die Voraussetzung befördert, mittelfristig dann auch wieder Milliardenübernahmen schultern zu können, ohne das Rating zu gefährden.

Die Anleger haben das strategische Finetuning zwar goutiert, aber noch bestehen Zweifel. Etwa, ob die Fortschreibung zweistelliger Wachstumsraten tatsächlich gelingt und ob Simcorp das Geld einspielt, das die Börse für die Firma auf den Tisch gelegt hat. Auch stellen sich Fragen, ob sich nach Linde, Birkenstock und Biontech noch viele andere Emittenten am US-Kapitalmarkt wohler fühlen als in Kontinentaleuropa, ob Private gegenüber Public Equity an Bedeutung gewinnt und ob die trüben Konjunkturaussichten auf die Stimmung bei Börsenkandidaten und Investoren drücken. Und ob Europas Regulierung, die immer offensiver Datendienstleister in den Blick nimmt, die Geschäftsmöglichkeiten für Data & Analytics einschränkt. Das alles würde der Börse das Leben schwerer machen. Deshalb: Das zuletzt noch einmal nachgeschärfte Geschäftsmodell der Deutschen Börse ist kein Selbstläufer. Aber: Die Fortentwicklung des strategischen Ansatzes des Dax-Unternehmens, der immerhin bereits einige Jahre gut funktioniert hat, klingt überaus plausibel.

Bei der Schärfung ihrer Strategie setzt die Deutsche Börse auf weitere Diversifizierung und finanzielle Flexibilität.

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