LEITARTIKEL

Wachablösung

Nicht jeder ist ein visionärer Unternehmer und Investor wie Marc Andreessen, der schon vor Jahren die disruptiven Wirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle zahlloser Branchen voraussagte. Inzwischen lehrte der Siegeszug von Amazon,...

Wachablösung

Nicht jeder ist ein visionärer Unternehmer und Investor wie Marc Andreessen, der schon vor Jahren die disruptiven Wirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle zahlloser Branchen voraussagte. Inzwischen lehrte der Siegeszug von Amazon, Google, Skype oder auch Netflix und Spotify mehr als anschaulich “why software eats the world”, wie Andreessen 2011 prophezeite. Auf der weltgrößten Mobilfunkmesse in Barcelona, die in der letzten Februarwoche ihre Pforten öffnet, können Teilnehmer und Publikum in diesem Jahr Zeugen einer sich anbahnenden gigantischen Wachablösung werden, bei der – wie zuvor im Buchhandel, TV-, Werbe- oder Musikgeschäft – die langjährigen Protagonisten den Spitzenplatz in ihrer Branche einbüßen und um ihre Zukunft kämpfen müssen.Es geht nicht länger nur um die von den Telekomnetzbetreibern seit langem beklagte Marktmacht der gigantischen mobilen Ökosysteme von Google und Apple, die einen stetig wachsenden Teil der Wertschöpfung im Telekomsektor an sich ziehen, – auch weil sie für die dafür notwendige Infrastruktur selbst nichts bezahlen. Das Kampfgebiet hat sich ausgedehnt vom Privatkundenbereich auf das weit größere Gebiet gewerblicher und industrieller Konnektivität und darauf aufbauender Produkte und Services. Im Internet der Dinge (IoT), der millionenfachen und intelligenten Vernetzung von Maschinen, ist die Schlacht noch nicht geschlagen. Aber auch hier gehen große und kleine Softwarefirmen mit innovativen Apps, Big-Data-Anwendungen und Cloud-Services in Position. Der Druck auf die in der Vergangenheit stets schwer beweglichen Telekomriesen wächst, nicht zuletzt deshalb weil ihr Geschäftsmodell mit traditionell langlaufenden Privatkundenverträgen und daraus resultierenden steten Cash-flows Auflösungserscheinungen zeigt. Zumindest im Mobilfunk gibt es bereits verstärkt Angebote ohne Vertragsbindung.Weit angeschlagener sind indes die einstigen Hausherren des Mobile World Congress, die Telekomausrüster. In dieser Branche bleibt kein Stein auf dem anderen. Vor kurzem erst brach der einst schnell wachsende Anbieter von Telefonen und Callcenter-Lösungen, Avaya, unter einer Schuldenlast von rund 6 Mrd. Dollar zusammen. Wie zuvor bei Nortel Networks, die 2009 bankrottging, rächten sich milliardenschwere Zukäufe, die sich geschäftlich nicht auszahlten und so die Schuldenlast untragbar machten. Vor allem aber war Avaya die Neuausrichtung auf ein softwaregestütztes Produktangebot misslungen. Diese ist auch für die europäischen Platzhirsche Nokia und Ericsson eine harte Nuss. Beide müssen sich neue Kompetenzen erkaufen, indem sie kleine Softwarefirmen oder gar Start-ups an sich binden.Nach einer Metamorphose vom weltgrößten Handyhersteller zum Netzwerkausrüster, einer darauf folgenden Operation an Haupt und Gliedern (der zahlreiche ausgediente hardwarebasierte Geschäftsteile zum Opfer fielen) und dem Zusammenschluss mit Alcatel-Lucent, bei dem ebenfalls das Portfolio entrümpelt wurde, steht Nokia heute besser da als Ericsson. Die Finnen verfügen über ein fokussiertes Angebot, haben die Kosten im Griff und in der Software – u.a. bei IoT-Anwendungen – aufgerüstet.Somit leiden sie unter der Flaute im Geschäft mit klassischer Telekominfrastruktur weniger als Ericsson, bei der trotz zahlreicher Zukäufe in den vergangenen Jahren die Neuausrichtung und Neugewichtung des Portfolios im Hinblick auf innovative Softwareprodukte aus Expertensicht noch nicht so weit gediehen ist, wie es sein müsste. Bei den Schweden zieht der Abbau tausender Arbeitsplätze hohe Restrukturierungslasten nach sich und infolgedessen rote Zahlen. Das Tal der Tränen ist noch lange nicht durchschritten. Auch ist keinesfalls ausgeschlossen, dass sich schon bald ein Anbieter von Cloud-Lösungen und virtualisierten Netzen als der weltgrößte Telekomausrüster herausbildet.Nicht zuletzt droht im Smartphone-Markt erneut eine Wachablösung. Dabei scheint die Position von Apple, die just Samsung als globale Nummer 1 vom Thron gestoßen hat, weniger in Gefahr als die der Koreaner. Samsung, die ein Produkt- und Image-Desaster aufgrund des missratenen Flaggschiffs Galaxy Note 7 verdauen muss, sitzt die chinesische Konkurrenz im Nacken. Hersteller wie Huawei, Oppo oder BBK besetzen inzwischen komplett die Top 5 hinter Apple und Samsung -, und sie wachsen schnell. Für die Koreaner, die ebenso wie die drei Verfolger auf die Google-Welt Android setzen, ist das sehr gefährlich. ——–Von Heidi RohdeOb Telekomnetzbetreiber, -ausrüster oder Handyhersteller: Sie alle stehen unter Druck. Auf der Messe in Barcelona geben Softwarefirmen den Ton an.——-