Ukrainische Exporte

Wachstum im Luftschutzbunker

Die ukrainische Tech-Branche ist in den vergangenen Jahren immer mehr zum wirtschaftlichen Aushängeschild des Landes geworden. Jetzt im Krieg erweist sie sich als finanzielles und strategisches Rückgrat der Regierung.

Wachstum im Luftschutzbunker

kro Frankfurt

Mit ihrer Entschlossenheit in der Verteidigung gegen die russischen Invasoren hat sich die ukrainische Bevölkerung weltweit Respekt verschafft. Dabei kommt der unbedingte Wille zum Weiter­machen vor allem in der schon vor Kriegsbeginn extrem florierenden Tech-Branche zum Ausdruck. Keiner anderen ukrainischen Exportindus­trie ist es 2022 gelungen, die Ge­schäfte trotz der schwierigen Um­stände dermaßen gut am Laufen zu halten wie den Software-, Cybersecurity-, KI- oder Cloud-Unternehmen. Tatsächlich hat die Branche nach Angaben des Verbands IT Ukraine das Volumen der ausgeführten IT-Dienstleistungen gegenüber 2021 sogar um fast 6 % auf 7,3 Mrd. Dollar gesteigert. Der Anteil des Sektors am Bruttoinlandsprodukt kletterte in der Folge von 4 % im Vorjahr auf deutlich über 5 %.

Zwar war ein solches Ergebnis angesichts der erfolgreichen Maßnahmen der Firmen für den Fortbestand während des Kriegs bereits erwartet worden, wie IT-Ukraine-Geschäftsführer Konstantin Vasyuk erklärte. Dennoch sei die Zahl einzigartig, handele es sich doch dabei um einen Höchststand, der eben mitten im Krieg erreicht worden sei. Die damit verbundenen Herausforderungen sind für Außenstehende nur schwer vorstellbar − und für die Tech-Branche teils ganz besonders tückisch: immer wiederkehrende Blackouts, erhebliche Störungen in der Kommunikation, Angriffe auf die digitale Infrastruktur, Luftschutzbunker statt Büros und Mitarbeiter, die evakuiert werden müssen, die in die Armee einberufen werden, die freiwillige Hilfe im Krieg leisten und Mitarbeiter, die im Krieg ihr Leben verlieren. Seitdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 24. Februar 2022 das Kriegsrecht ausgerufen hat, dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen. Die ukrainische Tech-Branche, in der etwa drei Viertel aller Beschäftigten männlich sind, ist davon besonders betroffen.

Auf der anderen Seite verstehen sich ukrainische Tech-Firmen aber auch als aktiver und wichtiger Unterstützer im Kampf gegen die russische Armee und zwar sowohl finanziell als auch strategisch. 2022 flossen laut dem State Tax Service umgerechnet mehr als 800 Mill. Euro an Steuern und Gebühren aus der Branche in die ukrainische Staatskasse und damit 16 % mehr als ein Jahr zuvor. Auch Geld- und Sachspenden wie Drohnen, Laptops, Nachtsichtgeräte oder Videokameras stellen die Unternehmen regelmäßig zur Verfügung.

Ihr Know-how bringen die ukrainischen IT-Experten auch aktiv in der digitalen Verteidigung des Landes ein. Laut einer jüngsten Umfrage haben 95 % aller Firmen mindestens eine IT-Fachkraft, die sich der Cyberarmee angeschlossen hat. In Unternehmen mit 200 bis 1200 Mitarbeitern waren es im Mai 2022 durchschnittlich sogar 14 % aller Mitarbeiter. Die Hoffnung ist groß, dass die Menschen bald wieder zu ihrer früheren Tagesordnung zurückkehren und der Regierung bei ihrem großen Ziel für die Branche helfen können: deren Anteil am BIP bis 2025 auf 10 % zu steigern.

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