US-Notenbank im Wahljahr unter hohem Erwartungsdruck
US-Notenbank unter hohem Erwartungsdruck
Niedrigere Inflation öffnet Korridor für mehrere Zinssenkungen ab Frühjahr – Solides Wachstum und starker Arbeitsmarkt bestätigen Konjunkturoptimismus der Experten – Gefahren gehen aber von der steigenden Staatsverschuldung aus
Von Peter De Thier
Anfang 2023 hätten wohl weder US-Präsident Joe Biden noch Notenbankchef Jerome Powell für möglich gehalten, dass die US-Wirtschaft binnen eines Jahres eine solche konjunkturelle Wende hinlegen würde: Die Rezessionsängste sind in der zweiten Jahreshälfte starken Wachstumsraten von 4,9 bzw. 3,3% (annualisiert) gewichen. Auch brummt der Jobmarkt wieder, wo im abgelaufenen Jahr 2,7 Millionen neue Stellen entstanden sind und mit einer Arbeitslosenquote von 3,7% fast Vollbeschäftigung herrscht. Gleichwohl lauern Konjunkturrisiken, insbesondere die ausufernde Staatsverschuldung, die Politiker bisher unter den Teppich gekehrt haben.
Weg frei für Zinssenkungen
Für Powell und seine Kollegen im Offenmarktausschuss (FOMC) der Zentralbank bietet das neue Jahr also durchaus eine gute Ausgangsposition, um die anvisierten Zinssenkungen von insgesamt 75 Basispunkten auch tatsächlich umsetzen zu können. So rutschte die Kernrate des PCE-Preisindex im Dezember zum ersten Mal seit März 2021 wieder unter 3%. Zwar dürfte das FOMC diese Woche den Zielkorridor für den Leitzins noch unverändert bei 5,25 bis 5,5% belassen, aber ungewiss ist für den weiteren Fortgang nur, ob die Währungshüter bereits im März den Geldhahn wieder aufdrehen werden oder doch noch bis Anfang Mai warten werden.
Das hohe Tempo, mit dem die Teuerung nachgelassen hat, überrascht sogar führende Ökonomen. So weist Mark Zandi, Chefvolkswirt bei Moody's Analytics, darauf hin, dass "während der vergangenen sechs Monate die PCE-Kernrate sogar unter 2% lag". Gestützt von Verbrauchern, Unternehmensinvestitionen und der Exportwirtschaft "war auch das Wirtschaftswachstum gegen Ende vergangenen Jahres deutlich stärker, als ich erwartet habe". Laut Zandi ist eine Zinssenkung im März zwar möglich. Für wahrscheinlicher hält er aber eine Lockerung im Mai, damit die Notenbank weitere Daten auswerten kann, um sicher zu sein, dass die nachlassende Teuerung auf Dauer Bestand hat.
Günstig sind auch die weiteren Aussichten für die Konjunktur. "Alles in allem stand das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zum Jahresausklang auf einer breiten Basis", stellt Andreas Busch, Senior Economist bei Bantleon, fest. Insbesondere weist er auf den weiter robusten Privatkonsum hin und die Tatsache, dass der Gegenwind, der von dem starken Anstieg der Zinsen ausgehen sollte, bisher ausgeblieben ist. Zusammengenommen signalisieren die Daten auch im ersten Quartal des laufenden Jahres "respektables Wachstum", ist Busch überzeugt.
Wichtig ist natürlich für die Märkte – in einem Wahljahr aber auch für Biden, der von nachlassender Inflation und günstigeren Finanzierungskonditionen für Wähler politisch profitieren würde –, inwieweit die Fed den Optimismus teilt und sich dieser in der Zinspolitik niederschlagen wird. Wie aus den jüngsten Prognosen hervorgeht, die nach der FOMC-Sitzung im Dezember veröffentlicht wurden, ist die Zuversicht in der Notenbank etwas verhaltener. So wird nach dem Wachstumsplus von 2,5% im abgelaufenen Jahr dieses Jahr eine geringere Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,4% erwartet.
Inflationsziel in greifbarer Nähe
Zudem sagt die Fed eine leichte Verlangsamung am Arbeitsmarkt voraus und erwartet einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf knapp über 4%. Entscheidend ist aber, dass auch die Mitglieder des Offenmarktausschusses fest damit rechnen, dass sich die Inflation auf dem Rückzug befindet. Die Notenbanker prognostizieren nämlich bis Ende des Jahres einen Rückgang des PCE-Deflators auf 2,4%, womit das Inflationsziel von 2% in greifbare Nähe rücken würde. Alles in allem pflastern die Eckdaten den Weg für drei Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte, die das FOMC mit seinen Zinsprognosen vom Dezember signalisiert hat.
Gleichwohl gehört es zu Powells Markenzeichen, Vorsicht walten zu lassen und auf die lauernden Gefahren hinzuweisen. Dazu zählt neben den Finanzierungskonditionen und geopolitischen Risiken insbesondere die Staatsverschuldung. Während das BIP im abgelaufenen Jahr den jüngsten Zahlen des Bureau of Economic Analysis (BEA) zufolge 27,4 Bill. Dollar erreichte, wuchs der Schuldenberg des Staates auf über 34 Bill. Dollar. Damit liegt die Schuldenquote bei etwa 124%, dem höchste Stand seit Beginn der statistischen Erhebungen. Lediglich im Gefolge des Zweiten Weltkriegs hatte der Anteil der staatlichen Zahlungsverpflichtungen an der Wirtschaftsleistung einmal knapp 120% erreicht.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Gleichwohl sind weder Republikaner noch Demokraten bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. So kritisiert die republikanische Opposition den Präsidenten als verschwenderischen "Sozialisten". Dessen Infrastrukturinvestitionen und Hilfsprogramme hätten das Loch im Staatshaushalt weiter aufgerissen und zur "Biden Inflation" beigetragen, schimpfen sie. Biden kontert mit dem Hinweis, dass die unter seinem Vorgänger Donald Trump beschlossenen Steuersenkungen die Verschuldung um fast 8 Bill. Dollar habe steigen lassen.
Viele Experten warnen, dass durch die hohe Verschuldung ein Verdrängungseffekt eintreten könnte, der das Wachstum bremsen und höhere Inflation zur Folge haben würde. Candice Tse, Global Head of Strategic Advisory Solutions bei Goldman Sachs, sieht diese Gefahr zwar noch nicht, erinnert aber daran, dass die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit des Staates von "AAA" auf "AA+" heruntergesetzt hat. In der niedrigeren Bonitätsstufe komme auch "der mangelnde politische Wille zum Ausdruck, die Schuldenproblematik zu lösen", sagt Tse. Die Polarisierung in Washington habe zur Folge, "dass der Kongress unfähig ist, fiskalische Ziele zu erreichen". Sollte dieser Zustand auf Dauer Bestand haben, "dann könnte die Kreditwürdigkeit des Staates weiter leiden" und Investoren als Anlass dienen, ihr Geld in anderen Ländern anzulegen.
Risiken steigen
Die Risiken der steigenden Schulden sind auch Powell bekannt, der gelegentlich entsprechende Hinweise liefert. Der Fed-Vorsitzende lässt aber gleichzeitig durchblicken, dass den Handlungsmöglichkeiten seines Hauses Grenzen gesetzt sind und auch Politiker einen Beitrag leisten müssen, um den Weg zu pflastern für inflationsfreies Wachstum. Dass ein solcher Beitrag, etwa in Form eines Sparpakets, sich ausgerechnet in einem Wahljahr realisieren lässt – das weiß auch Powell –, ist nicht zu erwarten.