Logistik

Wahre Kunst

Coronakrise, Energiekrise, Klimakrise – in der Logistik ist praktische Rechenkunst mehr denn je gefragt.

Wahre Kunst

­In der Pandemie wurde offensichtlich, was sonst – weitgehend reibungslos – im Hintergrund lief: Die Logistik ist das Rückgrat und zugleich die Achillesferse der Wirtschaft. Lockdown, Produktionsengpässe und Güterknappheiten spannten die Kapazitäten der Branche aufs Äußerste an und verhalfen den Logistikunternehmen zu einer zuvor so nie gesehenen Sonderkonjunktur. Containerreedereien schwimmen im Geld, die Cargo wurde zum Rettungsanker der Lufthansa, die Paketsparte zum Goldesel der Deutschen Post. Die Lkw-Hersteller, deren Geschäft als konjunktureller Frühindikator gilt, vermelden trotz trüber Aussichten für die Gesamtwirtschaft weiter starken Absatz.

Der Boom hält an. Aber er zahlt sich für viele Logistikunternehmen nicht mehr in gleichem Maße aus. Denn nach der Coronakrise folgt die Energiekrise. Nicht nur ist Gas knapp und Strom teuer, auch die Treibstoffpreise sind explodiert. Die Überwälzung der massiv gestiegenen Kosten auf die Kunden ist für Teile der Branche, wie zum Beispiel die Spediteure, eine existenzielle Frage, aber auch bei den Schwergewichten der Logistik nagt der Kostenschub spürbar am Gewinnanstieg. Hinzu kommt, dass die Unternehmen vielfach im buchstäblichen Sinne neue Wege beschreiten müssen. Der Ausbruch des Ukraine-Krieges hat nicht nur den Straßentransport gestört und Luftraumsperrungen verursacht, sondern insgesamt Lieferbeziehungen in Frage gestellt. Dies gilt mehr noch für die wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China. Sie haben die Politik veranlasst, Schlüsselindustrien in Deutschland und Europa zu reallozieren, und die Unternehmen bewogen, ihre Lieferanten stärker zu diversifizieren. Dies treibt die Nachfrage nach Logistikdiensten, erfordert von der Branche allerdings auch gewissermaßen ein neues Netz sowie einen teuren Kapazitätsaufbau.

Dabei werden auch neue Allianzen geschmiedet. Vor allem für die von der Pandemie arg gebeutelte und in Europa noch stark fragmentierte Luftfahrt zeichnet sich eine Neuordnung durch den Schulterschluss mit Reedereien oder Logistikunternehmen ab. Bei Air France-KLM ist die Großreederei CMA CGM eingestiegen. Die Lufthansa hat in Klaus-Michael Kühne einen Großaktionär, der den Weg für eine stärkere Zusammenarbeit mit Hapag-Lloyd ebnen könnte. Die weltgrößte Containergesellschaft Møller-Mærsk hat bereits eine eigene Luftfrachtsparte. Neue Systempartnerschaften, die geeignet sind, die Unternehmen krisenfester aufzustellen, können der Branche auch helfen, eine ihrer größten Herausforderungen zu bewältigen: die Dekarbonisierung. Denn auch diese ist ein enormer Kraftakt. So bietet sich für einen verminderten CO2-Ausstoß bei wachsenden Verkehrsströmen als naheliegende Lösung eine stärkere Verzahnung der einzelnen Verkehrsträger mit der Schiene an, vorausgesetzt, dass die Bahn ihren enormen Strombedarf weitgehend aus erneuerbaren Energien decken kann. Hierzulande scheiterten konkrete Projekte der Zusammenarbeit zwischen Lufthansa und Deutscher Bahn in der Vergangenheit häufig an fehlender Infrastruktur oder an der Komplexität des Systems. Eine stärkere Digitalisierung ist eines der Instrumente, das zumindest einen Teil des Problems lösen könnte.

Deutlich aufwendiger sind allerdings handfeste Fortschritte bei klimaschonenden Antriebsarten und Treibstoffen. Denn gerade in der Logistikbranche kann eine durchgängige Elektrifizierung nicht die einzige Antwort auf drängende Fragen beim Klimaschutz sein. Dass großräumige Transporter wie Frachtflugzeuge oder Containerschiffe auf Batterieantrieb umstellen könnten, erscheint kaum vorstellbar. Synthetische Kraftstoffe weisen einen möglichen Weg in die Klimaneutralität, allerdings einen teuren. Denn sie sind äußerst energieintensiv in der Herstellung und auch deshalb gegenwärtig noch viel zu knapp verfügbar. Auch die Nutzfahrzeugindustrie wägt verschiedene Antriebe ab und rechnet dabei hin und her. Bis 2030 soll die Branche gemäß den Vorgaben der EU-Kommission sicherstellen, dass ein Drittel des Schwerlastverkehrs CO2-frei ist. Dabei setzt Traton als einziger der drei großen europäischen Lkw-Bauer voll auf die Batterie – und deren Weiterentwicklung, vor allem was Reichweite und Ladegeschwindigkeit betrifft. Daimler Trucks und Volvo räumen auch Wasserstoffantrieben große Chancen ein. Dennoch ist dies bisher allenfalls ein Hoffnungswert. Wasserstoff aus Grünstrom ist in Deutschland Mangelware und entsprechend teuer.

Viele Unternehmen der Logistikindustrie haben derzeit genug Geld, die Rechenkunst ist mehr denn je, es richtig einzusetzen.

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