Wall Street droht Abfluss von Japans Billionen
Im Blickfeld
Wall Street droht Abfluss von Japans Billionen
Geldpolitische Wende in Nippon dürfte rapide Repatriierung von Kapital auslösen
Von Alex Wehnert, New York
Eine Kapitalflut aus Japan hebt die Boote an den US-Finanzmärkten seit Jahren – nun bahnt sich eine Gezeitenwende an. "Die Zeit für einen geldpolitischen Umschwung der Bank of Japan ist endlich gekommen", sagt Jeffrey Kleintop, globaler Chef-Investmentstratege des US-Brokers Charles Schwab, gegenüber der Börsen-Zeitung. In der Folge stehe eine rapide Rückführung japanischer, im Ausland angelegter Mittel in den Heimatmarkt bevor.
"Japanische Investoren haben über 3 Bill. Dollar an den US-Märkten investiert, für die sie umfangreiches Währungshedging betreiben müssen", betont Kleintop. "Bei einem geldpolitischen Umschwung und einer plötzlichen Yen-Aufwertung werden diese Absicherungsgeschäfte zu Geldverbrennern." Dann sei ein "Schneeballeffekt" zu befürchten, bei dem Mittel zunehmend schneller aus dem US-Markt abfließen würden – eine Entwicklung mit weitreichenden Folgen.
Spread weitet sich aus
Die Rendite zehnjähriger Treasuries nach Yen-Währungshedging ist bereits Ende des vergangenen Jahres unter die Verzinsung der japanischen Staatsanleihe in der gleichen Laufzeit gefallen. Im laufenden Jahr hat sich der Spread noch deutlich ausgeweitet, zuletzt belief er sich auf nahezu 2,5 Prozentpunkte. In der Folge sind japanische Investoren trotz anziehender Renditeniveaus in den USA in den vergangenen Monaten von Nettokäufern zu Nettoverkäufern amerikanischer Assets geworden. Ein ähnlicher Trend zeigt sich laut der Investmentbank Jefferies in Europa, wenn auch in kleinerem Maßstab.
An der Wall Street wie auch der Tokioter Börse breiten sich bereits seit Monaten Wetten auf ein baldiges Ende der ultralockeren Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ) aus. Schließlich liegt die Inflationsrate in Nippon seit nunmehr rund anderthalb Jahren über dem Zielwert der Währungshüter von 2%, im Sommer fiel die monatliche Gesamtteuerung zum Vorjahr zeitweise sogar höher aus als in den USA. Kleintop rechnet damit, dass es noch bis ins Jahr 2025 zu deutlich höheren Preisanstiegen kommen wird als angepeilt.
Zentralbank passt ultralockere Geldpolitik an
Mit ihrer Zinskurvenkontrolle hat die BoJ einen Eckpfeiler ihrer ultralockeren Geldpolitik bereits angepasst. Im Juli weitete sie die Zielspanne für die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe (JGB) aus, diese darf seitdem auf beiden Seiten um bis zu einen Prozentpunkt von der Referenzmarke von 0% abweichen, zuvor waren 50 Basispunkte zulässig. Seither haben die Währungshüter die Zinskurvenkontrolle weiter gelockert. Sie belassen die Zielmarke für die JGB-Renditen zwar bei 0%, betrachten die Obergrenze von 1% nun aber als lockereren Referenzwert und weniger als rigide Deckelung.
Zuletzt hatte BoJ-Chef Kazuo Ueda Spekulationen auf eine fortgesetzte Normalisierung der Notenbankstrategie mit der Aussage angeheizt, es werde „ab dem Jahresende und bis ins nächste Jahr hinein noch schwieriger werden, die Politik zu steuern“. Inzwischen glauben mehr als zwei Drittel der BoJ-Beobachter, dass der Negativzins auf bestimmte Einlagen der Geschäftsbanken bis April des kommenden Jahres Geschichte sein dürfte. Der Yen wertete auf Uedas Äußerungen hin Anfang Dezember kräftig auf.
Angeschlagenes Vertrauen in Treasuries
"Wenn sich die Wechselkurse noch stärker bewegen, dürften Japans große Lebensversicherer, Assetmanager und ihre Kunden nervös werden, da ihre Auslandsinvestments dann an Wert verlieren", sagt Schwab-Stratege Kleintop. Ein abnehmendes Interesse großer Investoren aus Übersee in Treasuries gilt aktuell als besonders problematisch, da das Vertrauen in amerikanische Staatsanleihen seit Monaten leidet. Nach wiederholten politischen Streitigkeiten um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze stufte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten im August von der Spitzennote "AAA" auf "AA+" herab, Moody’s senkte den Bonitätsausblick im November von "stabil" auf "negativ".
Zugleich hat das Finanzministerium nach den Schuldenstreitigkeiten aus dem ersten Halbjahr enormen Aufholbedarf bei Anleiheemissionen, konnte es sich doch über Monate praktisch kein Geld über neue Wertpapiere leihen. Die begebenen Volumina in allen Laufzeiten beliefen sich im Oktober und November jeweils auf über 2,5 Bill. Dollar, nachdem sie in den Vorjahresmonaten bei 1,3 bzw. 1,6 Bill. Dollar gelegen hatten.
Herausfordernde US-Haushaltsfinanzierung
Das Überangebot an und der gleichzeitige Vertrauensverlust in Treasuries sorgt für eine niedrige Beteiligung an den Auktionen: Die Bid-to-Cover-Ratio – also das Verhältnis aus dem Dollar-Gebotsvolumen und dem Wert der zugeteilten Bonds – lag trotz hoher verfügbarer Renditen zuletzt sowohl bei zehn- wie auch bei dreißigjährigen Titeln weit unter den Durchschnitten der Vorjahre. "Da auch die Federal Reserve nicht mehr so viele Staatsanleihen aufkauft wie in den Vorjahren, ergeben sich massive Herausforderungen bei der Finanzierung des Haushalts", sagt Kleintop. Dies werde voraussichtlich auch im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 noch eine größere Rolle spielen.
Die Abwicklung des Yen-Carry-Trade könne in diesem angespannten Umfeld "zu einer steigenden langfristigen Volatilität und höheren globalen Renditeniveaus führen", kommentiert Iain Stealey, internationaler Chief Investment Officer für Fixed Income bei J.P. Morgan. Stärkere Kursschwankungen bei US-Staatsanleihen, an denen japanische Investoren bisher mit über 1 Bill. Dollar beteiligt seien, dürften sich laut Kleintop schnell auf andere Assetklassen ausbreiten.
Nippon-Investoren trachten nach Diversifikation
Laut Stealey gibt es allerdings durchaus Gründe anzunehmen, dass japanische Anleger stärker an US-Assets festhalten werden als befürchtet. Ein Motiv sei der Drang nach einer breiteren Portfolioaufstellung, der Marktteilnehmer aus Nippon verstärkt in Segmente abseits des Treasury-Marktes führe. "Japanische Investoren benötigen einen tiefen Markt an Unternehmensanleihen und Verbriefungen zur Diversifikation", betont Stealey. Im Heimatmarkt fänden sie nicht die nötigen Bedingungen vor. Zudem könnten sich Investitionen in Auslandsassets für japanische Marktteilnehmer wieder stärker rechnen, wenn die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik lockerten.
In die gleiche Kerbe schlägt auch Yujiro Goto, Leiter Devisenstrategie bei der Investmentbank Nomura. "Senkt die Fed ihre Leitzinsen wie derzeit am Markt erwartet, nehmen die Kosten für das Währungshedging ab – japanische Lebensversicherer wären dann stärker in der Lage, an ihren Auslandspositionen festzuhalten", betont Goto, der derzeit moderate Verkäufe durch die "Lifer" beobachtet. Japans Banken könnten in Erwartung einer Fed-Lockerung und steigender Treasury-Kurse sogar noch versuchen, günstig in den Markt einzusteigen.
Letztlich sei die Geldpolitik aber nicht allein für die japanische Investitionsaktivität am amerikanischen Bondmarkt entscheidend, vielmehr zähle auch das breitere ökonomische Momentum. "Trübt sich das US-Konjunkturbild stärker ein als derzeit am Markt erwartet, dürfte dies zu einer höheren Volatilität, einer Aufwertung des Yen gegen den Dollar und einer weitreichenden Abwicklung des Yen-Carry-Trade führen", führt Goto aus.
Nikkei im Aufwärtstrend
Während den US-Märkten in der Folge eine Ebbe droht, sind japanische Assets laut Kleintop so attraktiv wie seit Jahren nicht. Dies gelte nicht nur in Bezug auf Anleihen. "Aus den USA abströmendes Kapital wird bei einer Yen-Aufwertung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im großen Stil in japanische Aktien fließen", sagt der Schwab-Stratege. Der Leitindex Nikkei 225 habe 2023 um rund 28% zugelegt, finde aufgrund der bisherigen Schwäche der japanischen Währung aber wenig Beachtung. Auch Goto erwartet positive Effekte möglicher Fed-Zinssenkungen auf den japanischen Aktienmarkt.
"Für die japanische Exportwirtschaft wäre eine zu starke Yen-Aufwertung zwar weniger positiv", räumt Kleintop ein. Doch gerade Investitionen in der Finanzbranche und anderen japanischen Sektoren mit starkem Fokus auf den Heimatmarkt würden für internationale Anleger nun attraktiver. Eine breite globale Diversifikation sei wichtiger denn je. "Investoren sind viel zu stark auf die großen sieben US-Tech-Aktien und den KI-Trend fokussiert", sagt Kleintop. Japan zu ignorieren werde sich im Zuge der anstehenden Gezeitenwende als schwerer Fehler erweisen.