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Was der geplante MSC-Einstieg bei der HHLA für den Hamburger Hafen bedeutet

Der geplante Einstieg der Schweizer Großreederei MSC beim Hamburger Hafenlogistiker HHLA ist umstritten. Doch die mehrheitlich an der HHLA beteiligte Hansestadt muss handeln, um Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit des größten deutschen Seehafens zu ermöglichen. Viele Optionen gibt es nicht.

Was der geplante MSC-Einstieg bei der HHLA für den Hamburger Hafen bedeutet

Hamburg muss beim Hafen handeln

Die geplante Beteiligung von MSC am Logistikkonzern HHLA soll für dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung sorgen.

Carsten Steevens, Hamburg

Das Containerschiff MSC Palak fährt auf der Elbe Richtung Hafen.

Die Aufregung in Hamburg ist groß, seit die Stadt am 13. September in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz den geplanten Einstieg der schweizerisch-italienischen Großreederei MSC bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) verkündet hat. Logistikunternehmer wie Klaus-Michael Kühne, selbst mit 30% am Hamburger MSC-Konkurrenten Hapag-Lloyd beteiligt, sowie Thomas Eckelmann, Hauptaktionär des mit 50% am HHLA-Konkurrenten Eurogate beteiligten Eurokai-Konzerns, stellen mögliche Gegenangebote in den Raum. Hapag-Lloyd-Vorstandschef Rolf Habben Jansen erklärt, sich ein Szenario vorstellen zu können, "bei dem von uns nur noch 70 bis 80% der bisherigen Ladung nach Hamburg gebracht wird". Die Reederei, an der die Stadt Hamburg ihrerseits als drittgrößter Aktionär einen Anteil von 13,9% hält, sorgt für rund ein Drittel des Containerumschlagvolumens in ihrem Heimathafen. Auch Arbeitnehmervertreter, die ihre Rechte bedroht sehen, sind alarmiert: Die Gewerkschaft Verdi etwa lehnt einen Verkauf der HHLA an private Investoren und eine Privatisierung öffentlichen Eigentums insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur ab.

Stadt will Mehrheit halten

Der Plan sieht vor, dass sich MSC für rund 600 Mill. Euro mit bis zu 49,9% an der börsennotierten HHLA beteiligt. Dafür dürfte das Unternehmen neben dem Streubesitz von rund 30,75% Anteile der bislang mit 69,25% am Terminalbetreiber beteiligten Stadt Hamburg übernehmen. Zudem sagt die seit 2004 am Terminal Bremerhaven beteiligte Reederei eine erhöhte Umschlagmenge in Hamburg ab 2025 zu. 2031 sollen mindestens 1 Million Standardcontainer pro Jahr an den Hamburger HHLA-Containerterminals ent- und beladen werden. Zum Vergleich: Hapag-Lloyd, mit gut 25% am HHLA-Container-Terminal Altenwerder (CTA), kommt auf eine Umschlagmenge von über 2 Mill. TEU. Der Stadt Hamburg, die in den vergangenen Monaten Angebote anderer potenzieller Interessenten zur Übernahme der HHLA-Mehrheit abgelehnt hat, will mit einem 50,1-Prozent-Anteil Haupteigentümer bleiben.

Der Stadt geht es wie schon bei dem vor wenigen Monaten vollzogenen, politisch umstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco mit einem Anteil von unter 25% am kleinsten der drei Hamburger HHLA-Containerterminals (CTT) darum, eine weitere, nunmehr die dritte große Linienreederei strategisch an Hamburg zu binden, Ladungsmengen für den größten deutschen Seehafen zu sichern und einen kapitalkräftigen Partner für langfristige Investitionen zu gewinnen. Die Optionen waren in Anbetracht der Maßgabe, die Mehrheit an der HHLA in den eigenen Händen zu behalten, begrenzt. Nach den jahrelangen Marktanteilsverlusten im Wettbewerb mit anderen europäischen Großhäfen, vor allem mit Rotterdam und Antwerpen, und mit Blick auf die Herausforderungen, den Hafen und seine Infrastruktur zu modernisieren, musste Hamburg aber handeln.

Warum, verdeutlicht ein Rückblick. Schon vor 20 Jahren steht eine Privatisierung im Raum. Pläne, die Mehrheit der HHLA an die Deutsche Bahn als den damals wichtigsten Logistikpartner zu verkaufen, sind politisch nicht durchsetzbar. Auch ein Bieterverfahren mit mehreren Kandidaten, in dem es um eine Minderheitsbeteiligung von 49,9% gehen soll, kommt nicht zum Ziel. Stattdessen wird der HHLA-Teilkonzern Hafenlogistik an die Börse geführt. Für Hamburg kommt der Börsengang am 2. November 2007 zu einem nahezu idealen Augenblick, nämlich auf dem Höhepunkt eines Aktienbooms, wie der Chronist Oliver Driesen in einem 2010 erschienenen Buch über die Geschichte des größten deutschen Seehafens und des größten Hafen-Players feststellt. Nicht davor und auch nicht in den Jahren danach hätte ein IPO so viel Geld in die Stadtkasse gespült. Nach der Platzierung von 31% der Aktien stünden rund 1,2 Mrd. Euro für den weiteren Ausbau des Hafens zur Verfügung. Die Anlegerwelt traue dem Börsenneuling offenbar zu, als ein Gewinner der Globalisierung auch in Zukunft auf einer Erfolgswelle zu reiten.

Bei der HHLA freut man sich im Herbst 2007 angesichts einer mehr als zehnfachen Überzeichnung des IPO und einer Marktbewertung von 3,7 Mrd. Euro, dass die "Wertschätzung unseres Geschäftsmodells und unserer Wachstumsstrategie" die Grundlagen für die Fortsetzung des Expansionskurses nochmals verbesserten. Doch die prächtige Stimmung verfliegt schon bald. Die teilprivatisierte HHLA, nunmehr auch von den Schwankungen an den Finanzmärkten abhängig und nicht mehr nur von den Gezeiten, gerät in den Sturm der weltweiten Finanzmarktkrise.

Konjunktur und Handelsströme brechen ein. Der Containerverkehr, der mit zweistelligen Wachstumsraten dafür sorgte, dass sich der See-Containerumschlag im Hamburger Hafen von 4,25 Mill. Standardcontainern (TEU) im Jahr 2000 innerhalb von sieben Jahren auf 9,89 Mill. TEU mehr als verdoppeln konnte, reißt ab. Bis heute hat der seeseitige Umschlag der Stahlboxen an den Kaikanten des Hafens das Niveau aus dem Jahr des Börsengangs nicht wieder erreicht.

Überzogene Erwartungen

Projektionen in einem Hafenentwicklungsplan, den der Hamburger Senat und die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) noch im Herbst 2012 präsentieren und die einen Containerumschlag von mehr als 25 Mill. TEU für das Jahr 2025 in Aussicht stellen, erweisen sich als überzogen. Man habe damals die sehr positive Entwicklung von 2000 bis 2008 einfach extrapoliert, sagt der Ökonom und Hochschullehrer Henning Vöpel. "Für jeden, der etwas von Wachstumsprozessen versteht, war klar, dass eine solche simple Modellierung nicht stimmen kann, sondern sich das Wachstum abflacht."

Für Hamburg sei nach 2008 ein "struktureller Bruch" zu erkennen, so Vöpel, Vorstand des Centrums für Europäische Politik (CEP) Freiburg/Berlin, des europapolitischen Thinktanks der Stiftung Ordnungspolitik, und bis 2021 Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). "Man hat seitdem mit jeder Krise Marktanteile verloren, was eindeutig auf strukturelle Probleme hindeutet." Bis 2030 rechnet der Wissenschaftler mit nicht mehr als 10 Mill. TEU im Hamburger Hafen.

Dass sich der Hamburger Hafen seit eineinhalb Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast befindet, dokumentieren auf den ersten Blick Veränderungen in der Rangliste der international führenden Häfen. Im Jahr 2002, als die HHLA mit dem Container-Terminal Altenwerder (CTA) das weltweit innovativste und leistungsstärkste Terminal eröffnete, lag Hamburg noch vor dem Rivalen Antwerpen an neunter Stelle, ebenso im Jahr des Börsengangs. Nach starkem Wachstum dominieren inzwischen längst chinesische Häfen die Szenerie. Hamburg ist mit deutlichem Rückstand auch zu den beiden führenden europäischen Häfen Rotterdam und Antwerpen aus der Liste der ersten 20 Häfen herausgefallen. Seit 2019, dem letzten Jahr vor Beginn der Coronakrise, hat Europas drittgrößter Containerhafen laut dem Branchendienst Alphaliner infolge der negativen konjunkturellen Entwicklung in Nordeuropa sowie des Kriegs in der Ukraine 18% seines Verkehrs eingebüßt. Die Verluste in Rotterdam fielen in diesem Zeitraum geringer aus.

Die Ursachen? Trotz der jüngsten Elbvertiefung beeinträchtigen den Hamburger Hafen mehr als 100 Kilometer entfernt von der Flussmündung strukturelle Nachteile. Rotterdam und Antwerpen liegen günstiger. Auch ist der Hamburger Hafen teurer für die Reedereien und gefordert, effizienter zu werden. Der Wettbewerb verlangt zudem, in die Infrastruktur des Hafens zu investieren. Auf der Maasvlakte II in Rotterdam etwa erfreut sich die dänische Reederei Maersk inzwischen an einem voll automatisierten Terminal, das als moderner gilt verglichen mit dem CTA in Hamburg, an dem Hapag-Lloyd beteiligt ist.

Wie dringend Hamburg handeln muss, wird auch im Frühjahr 2020 offenkundig, als bekannt wird, dass mit den Eigentümern des HHLA-Konkurrenten Eurogate über eine Kooperation im Containergeschäft in der Deutschen Bucht gesprochen wird. Auch Bremerhaven und Wilhelmshaven, wo der Terminalbetreiber Eurogate dominiert, stehen unter Druck. Ein Zusammenschluss der deutschen Nordseehäfen und eine gemeinsame Containerumschlagsgesellschaft kommen jedoch nicht zustande, die Gespräche werden im Verlauf der Coronakrise auf Eis gelegt.

In Sachen Terminals und Reederei-Bindung bleiben die Häfen Wettbewerber. Nach wie vor gilt: Die Ladung entscheidet, wo sie hin will, nicht die Länder. Das Dilemma mündet kurz vor der 13. Nationalen Maritimen Konferenz vor zehn Tagen in einer "Bremer Erklärung", in der die deutschen Küstenländer und die Hafenwirtschaft den Bund auffordern, die seit mehr 20 Jahren in der Summe unveränderten Mittel für die Finanzierung der Seehäfen relevant zu erhöhen.

Branche unter "ferner liefen"

Welche Folgen sich aus dem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgegebenen Bekenntnis des Bundes "zu seinem Teil der Verantwortung für leistungsstarke und zukunftssichere Häfen" ergeben, bleibt bei der Veranstaltung offen. Konkrete Zusicherungen verkündet der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs nicht. Jan Tiedemann vom Branchendienst Alphaliner konstatiert, bis auf einen 150 Kilometer-Radius um Hamburg herum sei Deutschland "schlicht und einfach kein maritimes Land". Die Häfen hätten immer das Problem, dass der Bund die maritime Wirtschaft unter "ferner liefen" betrachte, während die Branche in anderen Ländern wie den Niederlanden und Flandern als strategisch wichtig angesehen und entsprechend gefördert werde. "Rotterdam ist das ,Kronjuwel´ der niederländischen Wirtschaft, in Berlin kommt der Hafen lange nach anderen Branchen wie Automobilindustrie, Chemieindustrie, Medien etcetera." Das, so Tiedemann, sei "natürlich kein ,level-playing-field´".

Und die HHLA-Aktie? Von dem Kurssturz bis zum Frühjahr 2009 hat sich die HHLA-Aktie, die zu 53 Euro an den Handel kam, nicht wieder erholt. Nach der Vorlage enttäuschender Halbjahreszahlen durch den Hafenlogistikkonzern touchierte die im Juni 2013 aus dem MDax und im September 2021 aus dem SDax ausgeschiedene HHLA-Aktie Ende August die 10-Euro-Marke. Anleger, die beim IPO Anteile zeichneten, hatten bis vor kurzem einen Buchverlust von mehr als 80% zu beklagen. Seit dem 13. September steht das Minus bei knapp 70%. Die Reederei MSC will für ihren Minderheitsanteil 16,75 Euro je Aktie zahlen - eine Prämie von 57% zum volumengewichteten 30-Tage-Durchschnittshandelspreis vor Bekanntwerden der Pläne. Bald nach der Transaktion dürfte das Papier vom Kurszettel verschwinden.