Was macht der Mann da draußen vor dem Fenster?
Der Silberturm im Frankfurter Bahnhofsviertel hat – mit Verlaub – ein wenig an Glanz verloren. Einst war die frühere Zentrale der Dresdner Bank (die Älteren erinnern sich) das höchste Hochhaus Deutschlands, bevor ihn die Deutsche Bahn bezog. Trotzdem hat das bereits etwas in die Jahre gekommene Bauwerk aus Beton, Stahl und Aluminium am vorigen Freitag viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein Fassadenkletterer hatte sich am späten Vormittag auf den Weg nach ganz oben gemacht – 160 Meter ohne Sicherung. In der Pressemeldung der eilig herbeigerufenen Feuerwehr deutet sich an, dass der Freeclimber sogar auf die Rettungstruppe einen gewissen Eindruck gemacht haben muss – vor allem wegen seines bemerkenswerten Tempos: „Die Spezialkräfte der Höhenrettungsgruppe der Feuerwehr fuhren sofort auf das Dach des Hochhauses und installierten ihre Ausrüstung zum Abseilen der eigenen Kräfte und Sichern des Kletterers. Der Kletterer war aber inzwischen weiter aufwärts geklettert und erreichte just das Dach, als die Einsatzkräfte sich zu ihm abseilen wollten“, heißt es im Feuerwehr-Bericht. Als die Helfer einsatzbereit waren, sei der Mann bereits „auf das Dach gekrabbelt“ gewesen, berichtete ein Feuerwehrsprecher. Unbeschadet der darin anklingenden Wertschätzung wurde der Extremsportler natürlich in polizeilichen Gewahrsam genommen und angezeigt.
Ob Hessens Antwort auf Spiderman bei seinem Ausflug in luftige Höhen Büromitarbeiter erschreckt hat, die ihn beim Blick aus ihrem Fenster entdeckten, ist nicht überliefert. Im Banken- und im Bahnhofsviertel hat er auf jeden Fall eine Menge Wirbel verursacht – vor allem bei denen, denen bereits schwindelig wird, wenn sie mit dem Express-Aufzug in den 49. Stock des Commerzbank-Hochhauses hochschnellen oder dort ans Pissoir mit Panoramaausblick treten.
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Spötter kommentierten die Klettertour im Zentrum des Bahnhofsviertels mit dem Hinweis, dass sich der wagemutige Fassadensteiger sogar ohne Karabiner und Seil 160 Meter über dem Boden in einer letztlich sichereren Situation befand als unten an der Kreuzung von Weser- und Taunusstraße. Die werde schließlich nicht ohne Grund von Einheimischen Boulevard du crime genannt.
Gemutmaßt wurde natürlich über die Motive des Übermütigen. Die Freude am besonderen Ausblick kann es eigentlich nicht gewesen sein. Nicht nur, weil es sich für Kletterer ohnehin nicht empfiehlt, sich bei der Arbeit rumzudrehen, um sich mal umzuschauen. Sondern auch, weil es pittoreskere Plätze für eine Frankfurter „Rundschau“ gibt. Beispielsweise vom gar nicht so hohen Börsen-Parkplatz aus – oder auch von der Europäischen Zentralbank aus. Besonders hämische Zeitgenossen empfehlen gar die Vorstandsetage der Deutschen Bundesbank im Frankfurter Diebsgrund als Standort für den Panoramablick. Weil das einer der Punkte ist, bei dem das Gebäude der Bundesbank selbst mit Sicherheit nicht im Blickfeld ist.