Nachhaltige Kapitalanlage

Wegducken gilt nicht!

Fast jedes Finanzunternehmen reklamiert heute eine nachhaltige Kapitalanlage für sich. Doch im Umgang mit ethischen Zielkonflikten fehlt Klarheit.

Wegducken gilt nicht!

Aktionäre und Eigner, aufgepasst! Wenn sich Unternehmen zur Nachhaltigkeit bekennen, riskieren sie ihr Geschäft. Gibt es etwa ein Problem damit, wie der chinesische Staat das Volk der Uiguren im Westen des Landes behandelt? Nachdem der schwedische Textilriese H&M nach Berichten über Zwangsarbeit erklärt hatte, auf Baumwolle aus der westlichen Region Xinjiang zu verzichten, initiierte Peking eine Boykottkampagne und setzte auch andere Firmen unter Druck. Die Botschaft war klar: Wer uns kritisiert, fliegt raus.

Unternehmen geraten in solchen Fällen leicht ins Schlingern, wie nach der Causa H&M wieder einmal deutlich wurde. Und dieser Eiertanz geht auch die Eigner an. Denn ein Konzernmanagement allein kann den Zielkonflikt zwischen ethischen Prinzipien und Geschäftsinteressen nicht lösen. Es liegt in der Verantwortung der Eigner, der Führung einen klaren Kompass zu geben. Es kommt somit auch auf Kapitalsammelstellen und Fondsgesellschaften an, die für die Masse der Anleger sprechen. Nicht immer äußern sich die Finanzunternehmen aber deutlich genug.

Eigentlich, so möchte man meinen, sind die Vorgaben aus der Finanzindustrie bereits heute klar: Die Zauberformel ESG – neudeutsch für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – wird landauf, landab beschworen, eine Tradition und Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit machen erstaunlich viele Finanzkonzerne bei sich aus. Damit legt die Branche die Messlatte hoch. Und zum Teil hat sie sich bereits bewegt. Bei Herstellern geächteter Waffen etwa haben mehrere Gesellschaften Position bezogen, im Klimaschutz haben sich bekannte Adressen dem Ziel von null Treibhausgasemissionen verschrieben, auch zur Zwangsarbeit gibt es einige öffentlich einsehbare Leitlinien.

Doch nach dem Zielkonflikt befragt, weichen Branchenvertreter noch immer gerne aus. Nachhaltigkeit und geschäftliche Interessen gehörten zusammen, heißt es dann. Ihr Argument: Umwelt- und Sozialstandards eines Unternehmens können der Reputation und damit dem Marktwert dienen, funktionierende Kontrollen im Konzern senken das Risiko von Betrug und Machtmissbrauch, nachhaltige Geschäftsfelder sind oft chancenreich. ESG-Kriterien werden nach dieser Lesart als Kennziffern für Geschäftschancen und Risiken begriffen. Außerdem dienen sie dem Marketing: ESG-Prinzipien beachten und dabei auch noch in der Geldanlage profitieren – na klar, wer will das nicht! Doch derart verkürzt geht die Debatte an der entscheidenden Frage vorbei: Was ist zu tun, wenn Nachhaltigkeit und geschäftliche Interessen eben nicht zusammenpassen?

Es handelt sich dabei nicht um seltene Fälle, sondern um ein regelmäßiges Phänomen: Zwangsarbeit etwa ist nach Schätzung der Interna­tionalen Arbeitsorganisation ILO für annähernd 25 Millionen Menschen auf der Welt traurige Realität, Lieferketten sind in vielen Fällen potenziell betroffen. Doch ihre Überwachung ist aufwendig, und die Sorge um Reputation allein reicht als Anreiz nicht immer aus. Der Klimawandel, die Produktion bestimmter Waffen und die industrielle Tierhaltung gehen ebenfalls mit schwerwiegenden Zielkonflikten einher, und auch Fälle von Verbrauchertäuschung und Steuerdumping sind allseitig bekannt. Die Liste ließe sich vermutlich fortsetzen. Wie erfrischend wäre das Eingeständnis dieser Zielkonflikte! Dann müsste über die Rolle der Eigner neu diskutiert werden. Und dann würde auch deutlicher erkennbar sein, wie ernst es die einzelnen Adressen mit der Nachhaltigkeit meinen.

Verpflichtet sehen sich Finanzunternehmen dem Interesse der Kunden und Anleger. In ihrem Namen treten sie auf, über ihre Köpfe hinweg wollen sie nicht entscheiden. Das ist verständlich! Doch die Entscheidung zum Umgang mit Zielkonflikten nehmen die meisten Menschen den Treuhändern nicht ab. Einige institutionelle Kunden mögen ihre Ansprüche klar aufzählen, doch die Masse der Sparerinnen und Sparer schweigt. Ob Privatleute zu nachhaltigen Produkten greifen, hängt stark am Vertrieb, und dort sind die meisten Menschen bisher nicht nach ihren Wertmaßstäben befragt worden. Selbst wenn die Frage zur Nachhaltigkeit in die Finanzberatung einzieht und Anleger ESG-Produkte ablehnen, kann es dafür andere Gründe geben als ethischen Relativismus.

Daher ist es wichtig, dass Fondshäuser, Versicherer, Pensionseinrichtungen und andere noch deutlicher sagen, wofür genau sie stehen. Das gibt nicht nur Anlegern Klarheit, sondern erlaubt auch Konzernlenkern, sich in entscheidenden Fällen nicht wegducken zu müssen.